Wie alles anfing – Von der Werkkunstschule Bielefeld zum Fachbereich Gestaltung

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Nachdem in der Ausgabe 77 ein Beitrag über den Beginn des Internetzeitalters am FB Gestaltung der FH Bielefeld erschienen war (siehe: Wie alles anfing – mein Beginn des Internetzeitalters am FB Gestaltung) erfolgt nun ein weiterer Zeitsprung zurück ins Jahr 1986, in dem sich Jörg Boström anlässlich des 25jährigen Bestehens der FH Bielefeld erinnert an die Zeit der im Jahre 1907 gegründeten Werkkunstschule an der Sparrenburg, die im Jahr 1971 zum FB Design, seit 2002 FB Gestaltung, wurde.
Im Jahre 1978 zog der Fachbereich um in die Lampingstr. 3, direkt neben der  Rudolf-Oetker-Halle, wo er sich bis heute befindet.

Die Fotografien von Csaba Mester, die auch in Form eines Bildbands veröffentlicht wurden, entstanden Ende der 80er Jahre in der Lampingstraße.

 

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Foto: Csaba Mester / www.mester-fotografie.de

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Foto: Csaba Mester / www.mester-fotografie.de

 

Von der Werkkunstschule Bielefeld zum Fachbereich Gestaltung

Die Werkkunstschule Bielefeld wurde durch die Gründung der Fachhochschule der Fachbereich Design. Dass dies zu einem Zeitpunkt geschah, als die Studentenbewegung mit ihrer kritischen Auseinandersetzung mit den Grundlagen und Missbräuchen unserer Gesellschaft auch in Bielefeld auf einem Höhepunkt war, prägt bis heute Struktur und Studieninhalte.
Kunst und Politik gerieten in enge Tuchfühlung auch auf Leinwand, im Fotomaterial und in den Printmedien. Unter dem Druck und Eindruck gesellschaftlicher Konflikte der späten 60er Jahre schlossen sich zum Beispiel noch an der Werkkunstschule junge Künstler zusammen unter dem Kürzel KUPO, Kunst und Politik. Eine zweite Gruppe bildet ein Gestaltungsteam mit der heute wieder aktuellen Bezeichnung INTERMEDIA. In der Folge entwickelte sich aus diesem Begriff ein Fach, welches das Zusammenwirken von Fotografie, Film, Malerei, Plakat- und Buchgestaltung zur Darstellung von gesellschaftlichen Problemfeldern mit dem Ziel der kritischen Veränderung zum Inhalt hat. Aus solchen “Zellen” entwickelten sich  Kunstaktionen, die bis nach Baden-Baden, Hamburg, Bremen und Berlin ausstrahlten. Ein weiterer Impuls betraf die studentische Selbstverwaltung, welche sich in dieser Zeit einen maßgeblichen Einfluss erkämpfte, der später durch das Hochschulrahmengesetz soweit zurückgefahren wurde, daß die Studenten der 90er Jahre ihr Interesse an dieser stärker bürokratisierten, eher durch “verwaltete Ohnmacht” gekennzeichneten Mitverwaltung weitgehend verloren haben. Die Projekte visueller Kommunikation richteten sich gegen die Namengebung der Kunsthalle nach einem prominenten Mitglied des Freundeskreises um Heinrich Himmler, gegen Militarismus, gegen Konzept und Praxis der Berufsverbote, für politische und sexuelle Selbstbestimmung, gegen eine vorwiegend von Wirtschaftsinteressen bestimmte Stadt- und Verkehrsplanung, für die Durchsetzung von alternativen, demokratischen Kulturmodellen etwa am Beispiel der Ravensberger Spinnerei und des selbstverwalteten Jugendzentrums AJZ. Außerhalb Bielefelds zielten solche Studienprojekte auf die Erhaltung von Arbeitersiedlungen wie Eisenheim in Oberhausen und in anderen Städten des Ruhrgebiets. Eine prägnante und über Bielefeld hinaus wirkende Aktion richtete sich gegen den Putsch in Chile  am 11. September 1973. Hier wurde die Bielefelder Szene über die bisherigen lokalen Proteste hinaus Teil einer weltweiten Aktion demokratischer und linker Kräfte. Innerhalb des Berufsverbandes Bildender Künstler, in den einige Studenten demonstrativ eingetreten waren, gestaltete eine Gruppe ein Medienpaket aus Installation, Malerei, Fotomontagen und Plakaten im Rahmen der jährlichen Bezirksausstellung in der Kunsthalle. Nachdem eine interne Jury einen Teil der Exponate abgewiesen hatte, zog die Gruppe in einen eigenen Ausstellungsraum und stahl der übrigen Ausstellung insofern die Show, als die örtliche Presse breit über diese Aktion berichtete. Die Absicht, den Putsch mit visuellen Mitteln anzuprangern, war damit erreicht. Das Konzept der begrenzten Regelverletzung als Kommunikationsmittel hatte sich zum wiederholten Male auch in Bielefeld bewährt. Das in diesem Zusammenhang von der Gruppe KUPO erarbeitete großformatige Bild machte in der Folge in Braunschweig, Hamburg und Berlin auf sich, die KUPO und die engagierte Szene in Bielefeld aufmerksam. Zu einer Kritik der Regierenden an den Putschisten, einer Verurteilung der von ihnen verübten Verbrechen hat es sowenig geführt, wie der später entstandene Film von Costas Gavras. Zu dieser Zeit aber war das Vertrauen in die Wirksamkeit visueller Kommunikation zur Gestaltung von Politik und Bewußtsein noch ungebrochen. Daß visuelle Kommunikation mehr sein kann, als Dekoration des Bestehenden und Werbung zur Beschleunigung im Warenfluss diese Erkenntnis prägte Stil und Konzept des Projektstudiums, das im Fachbereich Design bis heute als die charakteristische Studienform angesehen werden kann. Nachdem durch “Konzentration” die Lehrgebiete Interior Design, Industriedesign und Architektur verlagert, “wegkonzentriert” und abgeschafft worden waren, entwickelte sich die bis heute aktive Kombination aus den Studienrichtungen Fotografie und Medien, Grafik – Design, Mode – und Textil – Design.

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Foto: Csaba Mester / www.mester-fotografie.de

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Foto: Csaba Mester / www.mester-fotografie.de

Entsprechend in Diskussionen immer neu zu entwickelnden Konsens in der Lehre des Fachbereichs Design entwickelt sich Textil -Gestaltung aus der Spannung zwischen freier künstlerischer Arbeit mit Farben, Formen, Flächen und Materialien. Dabei spielen sowohl Anknüpfungen an archaische Zeichensysteme und Signale wie auch die gestalterische Umsetzung von Naturformen eine Rolle. Die Sinnlichkeit haptischer Erfahrung verbindet sich mit den ästhetischen Wirkungen linearer und farblicher Strukturen zu immer neu sich formenden textilen Materialbildern, welche in der Umsetzung zu Geweben auf Boden und Wänden Lebensräume definieren.

Die Mode in Bielefeld ist entsprechend dem Grundkonzept des Fachbereichs mehr als nur eine nachvollziehende Gestaltung für den aktuellen Markt. Hier werden neue Formen der Kunst am Körper und der stofflichen Sensibilität entwickelt. Mode in Bielefeld ist Kunst auf der Haut. Mit dieser Kunst der Verkleidung feiern die Menschen sich selbst. Aus den in dieser Form ewig jungen Körpern wachsen Formen und Farben wie Blüten, wie schmiegsame Architektur, wie fantastische Landschaften hervor. In der Bewegung entsteht das Theater der Selbstdarstellung, der Selbstverliebtheit, der ewig gleichen Wiederkehr der Verführung. So ist die Kunst der Kleidung Erotik pur. Es sind nicht nur die Farben und Strukturen, die Sie auch in den anderen Bildkünsten wiederfinden können, es ist in diesem besonderen Bereich der Kleidung die unmittelbare Berührung mit der zärtlichen Materialität verschiedener Stoffe, die sich mit der Haut zu einer neuen, von Künstlern der Gestik und des Materials geschaffenen Empfindung verbinden. So betrachtet, ist Bielefelder Modekunst Ausdruck der Lebensfreude, des Selbstgenusses, präsentiert als Modell für die Anderen, die Betrachter, Geliebten, Kritiker, Händler zuletzt und Käufer. Wenn irgendeine Branche mit der Technik der körperlichen Verführung arbeitet zum eigenen Gewinn, dann ist es die Mode, diese schillerndste, in der Flüchtigkeit der Erscheinung unverschämteste, alle möglichen Wirkungen und unsere Empfindungen am unverblümtesten auswertende, ohne Einschränkung auf Fantasie, Genuss und Faszination setzende, die am direktesten  werbende aller Künste. Die Mode zugleich ist die Flüchtigste aller Gestaltungen, welche gerade die Vergänglichkeit, den schnellen Wechsel zu ihrem Prinzip erhoben hat, sie demonstriert bei ihren Zeremonien zugleich das Lebensgefühl der jungen Generation. In der Arbeit der Studierenden entwickelt sich das ästhetische Empfinden einer jeweiligen zukünftigen Gesellschaft.

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Foto: Csaba Mester / www.mester-fotografie.de

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Foto: Csaba Mester / www.mester-fotografie.de

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Foto: Csaba Mester / www.mester-fotografie.de

Der Bereich Fotografie und Medien ist durch zwei gegenläufige Richtungen gekennzeichnet, die sich wechselseitig ergänzen und steigern. Die auf die Darstellung von menschlicher Umwelt und ihre Fragen und Konflikte gerichtete dokumentarische Arbeit mit dem Medium, die sich in komplexen Projekten immer wieder auch publizistisch äußert, und die Untersuchung und Gestaltung der dem Medium und dem Apparat innewohnenden Regeln und Mechanismen, die zu durchbrechen und zu stören immer wieder zu neuen bildnerischen Lösungen führt. Zusammengefaßt wird diese Arbeit mit dem Begriff der Generativen Fotografie, welche bis heute in Bielefeld ihren Schwerpunkt hat. Die Spannung zwischen freier und angewandter Medienpraxis bestimmt die Entwicklung in dieser Studienrichtung und treibt die Entwicklung der Projekte voran. Entsprechend der gegenwärtigen Vielgestaltigkeit des künstlerischen Zugriffs werden die Möglichkeiten des Mediums ausgereizt. Fotografie ist zunächst ein technischer Prozeß – eine synthetische Bildproduktion – entstanden aus Chemie, Optik, Mechanik in Verbindung mit der industriellen Revolution. Das Bildermachen ist nicht mehr nur – wie für den klassischen Künstler  (Maler, Bildhauer etc.) – an Körper und Hand des Künstlers angekoppelt. Der Produktionsprozeß bei der Fotografie verläuft indirekt, vermittelt durch einen Apparat, vermittelt durch optisch-chemische, und zuletzt elektronische  Prozesse. Anders als der Malerpinsel, der eine Verlängerung der Hand ist, stellt sich der Apparat zwischen den Künstler und sein Bild. Er – der Apparat – produziert nach seinen technischen Regeln unter Anleitung des Künstlers. Daher werden die technischen Vorgänge selbst wesentlich. Sie sind nicht nur Mittel der Realisation. Die Technik selbst wird in der Fotografie zum Bedeutungsträger. Diese Tatsache hat den Medientheoretiker Marshal McLuhan zu dem berühmt gewordenen Satz verleitet “The medium is the message” (das Medium selbst ist die Botschaft!). Fotokunst – Kunst als Fotografie ist nicht angemessen zu begreifen, wenn man nicht den technischen Aspekt in die Anschauung mit einbezieht. Auch das ist inzwischen – auch unter dem Eindruck der technischen Bilder in den klassischen Künsten ein neuer Aspekt: Das Begreifen des technischen Prozesses als künstlerischer, konstituierender Bestandteil des Werkes, das Herausstellen der Tatsache, daß das Werk, das Bild an der Wand in diesem Falle, nur ein Teil – sicher ein wichtiger – die Endstufe eines umfassenderen Gestaltungsvorganges ist. Begriffe wie: entwickeln, fixieren, belichten, wie Ausschnitt, Transparenz, Montage, Positiv-Negativ etc. bezeichnen fotografische Gestaltungsprozesse, die vom technischen Ursprung des puren Machens fast stufenlos übergehen zu konzeptioneller, künstlerischer Substanz des Bildes selbst. Der Technik in der Fotografie kommt in weit höherem Maße gestaltgebende, also künstlerische Bedeutung zu, als die auch sehr wichtigen Bewegungen des Affenhaares oder der Schweinsborste am Pinselstiel eines Malers, eben weil dieser fotografische Prozeß abgekoppelt ist vom Körper, einen zwar steuerbaren – aber nur nach seinen eigenen Regeln steuerbaren – technisch autonomen Prozeß darstellt. Dies gibt wiederum dem Konzept die überragende Bedeutung.

Das Foto als dünne Fläche ist fast körperlos. Selbst eine Bleistiftzeichnung, eine Radierung hat mehr Materialität, mehr Relief. Das Foto ist pure Erscheinung. Diese glatte dünne Fläche ist Zwischenresultat auf dem Weg vom Kopf des Künstlers über den Herstellungsprozeß bis zum Auge und Kopf des Betrachters. Der „Apparat“ selbst wird zur Metapher für unsere inzwischen überwiegend technisch erzeugte Welt – die zweite Welt der Technik und die dritte Welt der Medienbilder. Der apparatfreie direkte Zugriff auf Wirklichkeit – die selbst apparatfrei nicht mehr sein kann – ist zum Aussteigertraum degeneriert – ist zur ersten geworden. Darüber hinaus bietet das Kameraauge auch in seiner äußeren physischen Ausprägung eine Art Simulation des Sehvorganges selbst: Linse, Blende, Netzhaut, Film. Auge und Apparat zeigen analoge Strukturen. Verwandelt der Fotoapparat die Welt in ein Medienschauspiel, das sich vor die unmittelbare Wahrnehmung schiebt, so macht die Fotokunst diese Medienwahrnehmung selbst zum Thema – zum Reflexionsgegenstand.

Die Aufforderung zur Studienreform aufgrund der Eckdatenverordnung vom 17.3.1994  haben die Lehrenden der Studienrichtung Grafik-Design dazu genutzt, neue Vorstellungen zu entwickeln, die auch für den gesamten Fachbereich gelten können.  In den 25 Jahren des Bestehens der Fachhochschule Bielefeld und damit des Fachbereich Design haben sich Tätigkeitsfeld, Gestaltungsprozeß und produktionstechnische Abläufe radikal geändert. Die vorher getrennten Medien fließen am Arbeitsplatz des visuellen Gestalters zusammen. Über Netze kann er zuletzt sogar die Produktion und die weltweite Verfügbarkeit seiner Arbeit steuern.
Quantitativ ist das deutsche Angebot an Design-Ausbildung weltweit ohne Beispiel. Heute gibt es, neben Bielefeld, in den alten und neuen Bundesländern insgesamt 62 staatliche und privatwirtschaftliche Ausbildungsstätten, an denen Grafik- oder Kommunikationsdesign studiert werden kann, ohne, daß das qualitative  Ergebnis dem der kleinen Schweiz – mit ihren fünf Design-Schulen – nennenswert überlegen wäre.
Was fehlt, ist eine reformierte oder neu zu gründende Bildungseinrichtung mit zeitgemäßer Ausrichtung, in der eine veränderte Welt, ein veränderter Markt, eine veränderte Medienwelt und neue Technologien ebenso Thema sind wie der neue Blick auf die europäische Landkarte, in der neue Tätigkeitsfelder wie Informationsdesign, Multimedia, Computer-Aided Design und virtuelle Realität die nötige Beachtung erhalten, aber auch eine Rückbesinnung stattfindet auf soziale und kulturelle Werte, welche Design als einen Beitrag zur Humanisierung der Welt begreifen. Damit verbunden wird die Realisierung neuer Werte- und Lehrkonzepte wie teamteaching, central-learning.
Design ist in vielen Bereichen – dank postmodernen Beliebigkeitsdenkens – pervertiert zum styling, zur reinen Dekoration, zur ›Anmache‹, zum bloßen Schnick-Schnack. Aufgabe eines reformierten Studienganges ist es, einen Gegenpol zu dieser oberflächlichen Position zu entwickeln und zu leben.
Design in unserem Verständnis ist Kultur-, Wirtschafts- und Sozialfaktor. Richtig angewandt ist es eine Kreativitätsmethodik, eine Innovationstechnik, eine Kommunikationsstrategie, ein intelligentes, umfassendes und dennoch ›sanftes‹ Therapeutikum. Es ist eine eigenständige, innovative Problemlösungsmethodik, plaziert zwischen einer erkenntnisorientierten Wissenschaft und einer um Sinngebung bemühten Kunst.

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Seminar von Prof. Jürgen Heinemann, Foto: Csaba Mester / www.mester-fotografie.de

Dieses Design ist problemzentriert, human, sozialverpflichtet, werteorientiert, interdisziplinär, radikal-innovativ, visionär.
So verstanden und gelehrt kann Design in einer immer schwieriger werdenden Welt mithelfen, für Wirtschaft, Verwaltung, Kultur, Politik und Gesellschaft allgemein sinnvolle und machbare Problemlösungen zu entwickeln. Dies gelingt aber nur, wenn die besten Köpfe dafür entdeckt und durch eine neuartige Bildungs- und Experimentierstätte gefordert und gefördert werden.
Für die augenblickliche Umbruchsituation – die Anpassung des ›Ostens‹ an die offene Gesellschaft, den Strukturwandel des Westens, die Globalisierung der industriellen Produktion, die zunehmende Verarmung des ›Südens‹, die sich abzeichnende ökologische Katastrophe und die gleichzeitige Flucht in die Medien – gibt es kein historisches Beispiel.
Aber es gibt in der Geschichte dieses zuendegehenden Jahrhunderts, neben den deprimierenden Erfahrungen der beiden Weltkriege und des Holocaust, auch in Deutschland, in der deutschen Designgeschichte drei Ereignisse, die Epoche gemacht haben: die Gründung des Deutschen Werkbunds im Jahre 1907, das Bauhaus in Weimar/Dessau/Berlin 1919–1933 und die Hochschule für Gestaltung in Ulm 1953–1968.
Der Werkbund war eine Antwort auf die Industrialisierung, das Bauhaus eine Antwort auf den Zusammenbruch des Kaiserreichs, die Hochschule für Gestaltung Ulm ein Versuch, der neuen demokratischen Gesellschaft angemessene gegenständliche Lebensbedingungen zu schaffen.
Diesen Prozeß gilt es fortzusetzen. Die gegenwärtigen soziokulturellen, politischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen in Europa aber sind ohne Vorbilder. Die sich überstürzende Entwicklung der Medien und die damit verbundenen neuen Lebensgewohnheiten und Arbeitsprozesse sind ohne Beispiel. Die Qualität des Denkens bestimmt die Qualität der Arbeit.
»Die Grundidee des Bauhauses bestand darin, ein zentrales Laboratorium für schöpferische Gestaltung zu schaffen, das breiten Einfluß nehmen sollte …« schreibt Gropius in einem Brief an Max Bill.
Auch die hfg Ulm, die als Geschwister-Scholl-Hochschule gegründet wurde, stellte nicht zu allererst Design in den Vordergrund, sondern die Erziehung zu selbständigem Denken und sozial-politischem Engagement. »Sie will fachliches Können, Allgemeinbildung und soziales Verantwortungsgefühl zu einer Einheit verbinden. Sie will die Kluft zwischen Intelligenz und Kultur auf der einen Seite und Leben und Alltag auf der anderen Seite überwinden helfen. Sie will vor allem auf die Gestaltung der Sozialprodukte Einfluß nehmen und der Industrie helfen, Form und Qualität in Einklang zu bringen …«  Anknüpfend an diese Tradition bezeichnet sich der Fachbereich mit dem umfassenden Begriff als Fachbereich Gestaltung. Er begreift auch Design nicht nur ökonomisch als Produktivkraft, sondern auch als kulturellen und sozialen Wirkungsfaktor, der ethisch-moralischen Werten und dem Geist der Moderne verpflichtet ist.
Im Sinne der genannten Vorstellungen soll in einen integrierten Studiengang Kommunikationsdesign gelehrt werden.
Leitideen für die Organisation von Studium, Lehre, Forschung und Entwicklung sind Kooperation der Lehrenden, rationale Planung, gemeinsame lang-, mittel- und kurzfristige Ziele, die als Politik des Fachbereichs veröffentlicht und verfolgt werden.
Studienreform wird als ständiger Prozeß angelegt mit eigenständiger teamorientierter Lehr- und Lernorganisation, frühzeitigem Praxisbezug, exemplarischem Wissen, fachübergreifendem Lernen analog zu Problemen und quer zu den Disziplinen, Orientierung im Berufsfeld, in Sprachen und Auslandsbeziehungen, in complementary studies.
Angestrebt wird universitas – die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, Campusleben nicht nur im Unterricht. Gearbeitet wird an regelmäßigen Publikationen und Präsentationen. Ateliers und Designbüros für die Lehrenden und für Projektgruppen werden im Hause eingerichtet. Design kann nicht isoliert und selbstreferentiell arbeiten. Zusammenarbeit und Interdisziplinarität sind konstituierend für zeitgemäße Gestaltung. Gestaltete Dinge sind immer der letzte notwendige Schritt.
Ein Diplom aus Bielefeld umfaßt die Qualifikationen, komplexe Situationen zu analysieren, Designprobleme zu definieren, Problemlösungen zu entwickeln, wirkungsvolle Kommunikationsmittel zu konzipieren, zu entwerfen und zu produzierenden Entwicklungs- und Produktionsprozeß zu steuern.
Die einzelnen Fächer und Lehrbereiche werden aus den angestrebten Qualifikationen entwickelt, verstehen sich aber immer als offene Angaben. Als Prinzip des Lehrens und Lernens werden in allen Veranstaltungen, Fächern und Prüfungen über das ganze Studium Sprache und Text, zeichnerische Darstellung, Modellbau, Mediengestaltung, Kommunikation und Medientheorie thematisiert.
Dazu gehören sprachliches Erfassen und Darstellen eines Problems, zeichnerisches und mediales Erfassen  einer gegenständlichen Situation, visuelles Darstellen auch komplexer Zusammenhänge in verschiedenen, jeweils besonders geeigneten Medien, Kenntnis der Design- und Mediengeschichte und ihrer Theorie, Arbeiten im Bereich des Modellbau, Konzeption und Entwurf von Kommunikationsmitteln, Präsentations- und Produktionstechnik.
Spezielle Qualifikationen und inhaltliche Schwerpunkte können sein: Informationsdesign, Corporate Design, Editorial Design, Orientierungsdesign, Ausstellungsdesign, Ökologie und Design, Werbung für soziale, kulturelle und politische Ziele, database publishing, low budget Produktion etc..
Jeder Studierende im Fachbereich Gestaltung sollte parallel ein Fach an einer anderen Hochschule der Region studieren und mit dem Vordiplom abschließen, wie auch alle Lehrenden mindestens eine weitere Qualifikation haben sollten als die ihres Faches.
Der schnelle Wandel in der Kommunikationstechnik und Medienindustrie erfordert eine immer stärkere Auseinandersetzung mit dem Markt und eine Kooperation mit Industrie, Politik und gesellschaftlichen Gruppen. Ähnlich wie die Werkstätten des Bauhauses, die Bauhaus GmbH,  oder die Entwicklungsbüros an der ehemaligen Ulmer Hochschule für Gestaltung, in denen die inzwischen legendären Designprojekte wie Bauhaustapeten, Braun, Lufthansa, Erco, Gardena, Olympiade ’72 München entworfen wurden, wird in Bielefeld ein hochschuleigenes Designbüro betrieben, in dem unter kollegialer Leitung durch jeweils zwei Lehrende Projekte bearbeitet und neue Formen der Designpraxis erprobt werden.
Lehre und Studium werden interdisziplinär in Projekten organisiert, nicht nur in einzelnen Fächern. Die Struktur der Inhalte ist in den einzelnen Studienabschnitten prinzipiell gleich, die Komplexität nimmt aber zu. Der Gebrauch von Computern und technischen Medien soll in allen Fächern und Lernfeldern so selbstverständlich sein wie der Gebrauch von Bibliotheken und Werkstätten. Die Einführung darin ist Teil der im Teamteaching zu organisierenden Veranstaltung ›Arbeitstechniken und -methoden‹.
Prüfungen werden als komplexe Prüfungen mehrerer Qualifikationen in einer Präsentation mit Kolloquium abgelegt. Das gilt auch für theoretische Qualifikationen. Als Prüfer sollen neben den Lehrenden auch Vertreter der Designpraxis und Lehrende anderer Hochschulen gewonnen werden – zumindest als Gäste und Berater. Neben dem Notensystem wird ein credit-System zu entwickeln sein, um international kompatible Bewertungen zu erreichen. Mit den Partnerhochschulen werden Äquivalenzvereinbarungen getroffen.
Entscheidend für die Qualität der Hochschule ist die Arbeit der Studierenden.  Neben einer überdurchschnittlichen darstellerischen Begabung in verschiedenen Medien und einem ausgesprochenen Interesse an Gestaltung im vorgetragenen Sinne wird ein Persönlichkeitsprofil entwickelt, das aus der Kreativitätsforschung abgeleitet wurde: Originalität als Neigung, die Bereitschaft, die Dinge anders als üblich zu sehen und ungewohnte Verknüpfungen herzustellen, Neigung zu komplexen Sachverhalten, die Fähigkeit zu überraschender wie sinnfälliger Interpretation eines Sachverhaltes, differenzierte Psychodynamik, Spürsinn für Probleme, Empfindlichkeit gegenüber Bevormundung und Beschränkung von Handlungsspielraum, sowie Unabhängigkeit des Urteils.
Die skizzierten Ideen und Vorschläge haben Auswirkungen auf alle Mitglieder  des Fachbereichs, auf ihr eigenes Verhalten und Tun. Der Prozeß in Lehre, Studium, Forschung und Entwicklung bedeutet ständige Veränderung im Zusammenwirken von technischer, ästhetischer und gesellschaftlicher Innovation.
Diese Lehr- und Produktionsprozesse basieren auf einem Zusammenwirken von freier Formentwicklung, von Gestaltung eines persönlichen Ausdrucks für das Existenz- und Lebensgefühl der jeweils neuen Generation und dem gesellschaftlichen und kommerziellen Auftrag, von Reaktion auf bestehende Codes und ihrer Brechung, von Test, Revision und Innovation des visuellen Umfelds . Um einem zur Zeit sich abzeichnenden, verengten Designbegriffs entgegenzuwirken, der freie Mediengestaltung, Malerei, Skulptur und Rauminstallation auszuschließen scheint und sich auf vorgegebene Lifestylemuster beschränkt, gibt sich der bisherige Fachbereich Design zur begrifflichen und inhaltlichen Verdeutlichung seiner Struktur und seiner Ziele die Bezeichnung Fachbereich Gestaltung und eine neue, den Erfordernissen aktueller ästhetischer Praxis und Lehre entsprechende Studienordnung. Er verbindet damit die historischen Beispiele der Bauhaustradition, der Hochschule für Gestaltung in Ulm und einiger  vergleichbarer Hochschulen in unserem Land und setzt damit auf die Möglichkeit der kreativen Prozesse in permanenter Innovation.

Jörg Boström 1986

 

 

Siehe auch Zur Erinnerung: Werk Kunst Schule Bielefeld in der Ausgabe 44 des vm2000.net

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