Fotografieren in „zweifacher Nacht“

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Vor Ort: Unter Tage

Jörg Boström

Als die Zeche »Haus Aden« mir zusammen mit einer Gruppe von Künstlern des Bergkamener Bilderbasars die Möglichkeit gab, »einzufahren«, sagte man uns, fotografieren untertage sei nicht möglich. Nach dem ersten Besuch begriff ich warum: 1. Die Beleuchtung reicht für den Ungeübten kaum aus, im Streb den verschiedenen Hindernissen, Trägern, Kabeln, Ketten rechtzeitig auszuweichen. Oft ist die schwache Kopflampe, die jeder Bergmann und jeder Besucher trägt, das einzige Licht. 2. Die Schlagwettergefahr, von Explosionen bestimmter Gas-Sauerstoff-Gemische erlaubt nur besonders gesicherte elektrische Einrichtungen. Schon die Silenzelle des Belichtungsmessers, die Batterie der Kamera, die winzige Batterie einer Digitaluhr, sind aus Sicherheitsgründen nicht zugelassen. 3. Am »Hobel«, am Kohleabbau, ist die Entwicklung von Kohlenstaub so dicht, daß er alles gleichmäßig einschwärzt. 4. Der Eindruck von Dunkelheit, Staub, Hitze, die unmittelbare Erfahrung der Enge beim Kriechen durch den Staub, die Gewalt des Aufeinandereinwirkens technischer Prozesse und der Formationen des Gesteins, die Beobachtungen intensiver körperlicher und geistiger Arbeitseinsätze unter diesen Bedingungen betäuben beim ersten Besuch die Reaktionsfähigkeit jedes Fotografen.
Man erlebt auf der Haut, was man vorher nur wußte: der Beruf des Bergmanns stellt eine der höchsten Herausforderungen an die körperliche geistige und psychische Kraft des arbeitenden Menschen dar. Ein zweiter Besuch wurde uns ermöglicht und entsprechend vorbereitet: • Kameras mit mechanischem Verschluß, • kein Belichtungsmesser, • hochempfindliches Filmmaterial (Kodak Recording 40 DIN) • Unterwasserplastikbehälter gegen Staub, der sich als unhandlich erwies, besser waren einfache Haushaltstüten aus Klarsichtfolie • und fotografieren mit ungeschützter Kamera.

Warten auf die Seilfahrt

Gearbeitet wird in 7 und 8 Stundenschichten (6, 14, 22 und 6, 12, 18, 24 Uhr). Der Förderkorb geht jede Stunde. Er faßt auf vier Etagen je 20 Bergleute. Im Gegenzug fahren entsprechend 80 Bergleute zu Tage. Die Arbeitszeit beginnt und endet mit der Seilfahrt, die in ca. 3 Min. 1000 m Tiefe erreicht. Jeder Bergmann ist ausgerüstet mit vollständiger Arbeitskleidung einschließlich Wäsche, dazu Schutzhelm, Arbeitshandschuhe, Schienbeinschoner, Kopflampe, CO-Filter-Selbstretter für den Notfall und Staubmaske. Die meisten Bergleute tragen noch eine 3-5 Liter Flasche mit Tee, den sie aus zecheneigenen Automaten zapfen.
Die ausgebauten Strecken stellen ein organisiertes Verkehrsnetz dar. Nach einem Fahrplan verkehren hier Personen- und Materialzüge. Besonders gesicherte Kabel begleiten jede Strecke: 50 KW-Leitungen, Fernmeldekabel, die Meßwerte und Steuerimpulse einem zentralen Rechner zuleiten, Telefonverbindungen mit allen Verkehrs- und Arbeitspunkten, ebenso die Ver- und Entsorgung über Rohrleitungen für Wasser, Druckluft und Grubengas. Die Bewetterung erfolgt durch Ventilatoren an Ausziehschächten. Auf der 1000 m Sohle ist das Streckennetz etwa 80 km lang. Das bedeutet für manchen Bergmann eine Fahrzeit untertage von 45 Minuten bis zur Arbeitsstelle vor Ort.

Ständige Wachsamkeit ist erforderlich, da auf Veränderungen im Gestein und in der Lagerung der Kohle reagiert werden muß und um das hangende Gestein immer wieder abzustützen. Die Sicherheit des Bergmannes vor Ort ist unmittelbar abhängig von seiner Wachsamkeit und seinem Können. Diese Arbeit erfolgt in «Zweifacher Nacht« (Max von der Grün), bei starker Entwicklung von Kohlenstaub und Temperaturen von 27-30 C und mehr. Der Streb ist je nach Mächtigkeit des Flözes 120-150 m hoch, so daß man sich nur gebückt in ihm bewegen kann. Jeder Arbeitseinsatz führt zu starken Schweißausbrüchen.

 

 

Vor Ort am Hobel

Der Kohleabbau erfolgt im Streb. Dieser folgt der Lagerung der Kohle, dem Flöz. Die Kohle wird durch einen Hobel über eine Gewinnungslänge von 250 m abgebaut und über Förderbänder zum Bunker transportiert, 600-700 t pro Schicht. Hydraulische Reichzylinder drücken den Hobel an den Kohlenstoß. Zweimal pro Schicht wird nachgezogen, damit der Hobel wieder von Neuem an den Kohlenstoß drücken kann.

Statt des früher verbreiteten Grubenholzes verwendet man heute zum Abstützen im Streb hydraulische Einzelstempel.

Der mitgebrachte Tee ist nicht nur für den Durst, sondern dient in erster Linie dem Feuchtigkeitsausgleich. 1/2 Stunde Pause während der Schicht ist vorgesehen, dazu etwa 1 1/2 Stunden Fahrzeit untertage, so daß je nach Arbeitsplatz 300-380 Minuten Arbeitszeit vor Ort geleistet werden. In besonders heißen Bereichen über 27 C werden 7-Stunden-Schichten gefah-ren. Diese Temperaturen werden wöchentlich gemessen. Die Betriebsleitung möchte montags messen, wenn es besonders kühl, die Belegschaft Freitags, wenn es besonders heiß ist. Also mißt man mittwochs oder donnerstags. Besondere Kühlanlagen mildern die Hitze.

Vor Ort — Streckenvortrieb

Das Gestein wird durch Bohrungen für die Sprengung vorbereitet. Nach der Sprengung wird der Abschlag durch einen Seitenkipplader auf ein Förderband verladen und abgefördert. Der freigesprengte Streckenraum wird durch Bogenausbaugestelle abgestützt. Die Zwischenräume werden durch Verzugmatten gegen Steinschlag abgesichert. Das Gebirge drückt an einzelnen Stellen so stark, daß sich Rundbogenträger verbiegen. Im Gegensatz zu dem überall sichtbaren Kohlenstaub ist der fast unsichtbare Steinstaub gefährlich. Er kann sich in die Lungen legen und zu der gefürchteten Staublunge, der Silikose, führen, an der noch zur Zeit viele Bergarbeiterrentner langsam erstikken. Man bekämpft heute diesen gefährlichen Staub durch Besprühen des Gesteins, durch Absaugen und durch Staubmasken, die besonders von den Arbeitern am Streckenausbau getragen werden. Trotz der hochentwickelten Bergbautechnik sind viele Arbeiten nur mit hartem körperlichem Einsatz, aber mehr noch mit organisatorischen und handwerklichen Fähigkeiten zu bewältigen.

Bei jeder Seilfahrt werden die angelaufenden Etagen telefonisch verständigt.

Seilfahrt nach der Schicht

Nach Abschluß der Seilfahrt war der Bergmann 8 Stunden untertage, in Dämmerung, Staub und Hitze. Mindestens eine 1/2 Stunde braucht er noch, um sich vollständig zu waschen und umzuziehen. Dann tritt er den Heimweg an. Er verdient 108,- —120,- DM pro Schicht.

Zuerst erschienen in:
Alltag 1. Jahrbuch der sozialdokumentarischen Fotografie, Hamburg 1978.

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