Notizen zur Donauschrift

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Text: Annette Bültmann

Dieser Text bezieht sich auf das Buch “Das Rätsel der Donauzivilisation” von Harald Haarmann, und weitere Werke desselben Autors.

Der Autor einiger Bücher über die Donauzivilisation, Harald Haarmann, geht davon aus, dass sich am schwarzen Meer ca. 6700 vor Christus eine Flutkatastrophe biblischen Ausmaßes ereignete. Er nimmt an, und erwähnt auch die amerikanischen Geologen William Ryan und Walter Pitman, die zu dieser Erkenntnis kamen, dass das schwarze Meer ein Binnensee mit Süßwasser war, solange bis es durch steigendes Wasser zum Bosporusdurchbruch kam, und die salzigen Wassermassen monatelang in das Bassin stürzten, was die Legenden von einer Sintflut erklärt, und eine große ökologische Katastrophe darstellte. Demnach hätte das salzige Wasser als Schicht über dem Süßwasser des früheren Sees zum Absterben aller Lebewesen der tieferen Schichten geführt, wodurch in der Tiefe eine lebensfeindliche Region und große Mengen Schwefelwasserstoff entstanden, die dem Meer seinen Namen geben, und noch heute eine Gefahr für Taucher darstellen können. In der Tiefe des schwarzen Meeres befinden sich größere Schwefelwasserstoff Vorkommen, und wenn gelegentlich etwas davon in höhere Schichten gelangt, färbt er Schiffsrümpfe schwarz, und stellt als Gas schon in relativ geringen Mengen eine Gefahr für Seeleute dar. Zwar könnte man sich fragen, ob landwirtschaftliche Abwässer aus der Donau das schwarze Meer so überdüngt haben könnten. Aber der Name Schwarzes Meer, wenn er schon sehr lange in Gebrauch ist, würde darauf hindeuten, dass es dort bereits vor den heutigen landwirtschaftlichen Abwässern Schwefelwasserstoff gab.

Harald Haarmann entwickelte die Theorie dass sich durch die Flutkatastrophe die Kultur der Bewohner der Schwarzmeerregion und des Donautals veränderte. Die Donauschrift wäre demnach in der Zeit nach der Flut und nach den dadurch ausgelösten Klimaschwankungen entstanden.

Als Sprachwissenschaftler geht er davon aus dass die Donausprache und -schrift vor der indoeuropäischen entstanden ist, und später von dieser verdrängt wurde, und ähnliches auch in anderen Regionen geschah, so dass z.B. das Minoische vom Griechischen verdrängt wurde. Die meisten europäischen Sprachen gehören heute zur indogermanischen Sprachfamilie.
Als Sprachen in Europa, die heutzutage noch nicht indoeuropäisch sind, wäre im westlichen Europa das Baskische zu nennen, das nach bisherigen Erkenntnissen mit keiner anderen Sprache verwandt ist, sowie im Norden und Osten Ungarisch, Estnisch und Finnisch, die zu den uralischen Sprachen gehören, ebenso wie auch die Samischen Sprachen der Ureinwohner von Teilen Schwedens und Norwegens.
Diese werden jedoch heute mit üblichen lateinischen Schriftzeichen geschrieben, während die minoische Sprache eigene Schriftzeichen hatte. Es gab auf Kreta zunächst die noch unentzifferte kretische Hieroglyphenschrift, dann eine als Linear-A bezeichnete Silbenschrift, die nur ansatzweise entziffert ist. Die darauffolgende Schrift Linear-B wird mit der mykenischen Kultur in Verbindung gebracht. Die Sprache der Mykener war eine frühe Form des Griechischen, also bereits indogermanisch, und diese Schrift konnte weitgehend entschlüsselt werden.

 

 

 

Beisp. für Vinča-Schriftzeichen, aus dem Gimbutas Font von S. Paliga, Zeichnungen von D. Mihaila

 

 

Die Zeichen der sogenannten Donauschrift, die eine sehr frühe Form der Schrift darstellt, so es sich denn um eine Schrift handeln sollte, wurden gefunden auf Artefakten aus der Zeit zwischen ca. 5300 und 3200 v. Chr. an Fundstätten im Donauraum. Es ist vermutlich teilweise eine Hieroglyphenschrift, einige Zeichen sind wahrscheinlich Logogramme, Zeichen die je ein Wort wiedergeben, so wie es vermutlich auch bei der Indus-Schrift der Fall war, und der altsumerischen Piktografie, der ägyptischen Hieroglyphenschrift, und der altchinesischen Orakelschrift. Es wurden sowohl bildhafte, ikonische Zeichen, als auch nicht-bildhafte, abstrakte Zeichen gefunden. Es wurde außerdem auch ein Ziffernsystem gefunden, dieses besteht aus Punkt- und Strichzeichen.
Ein Teil der Sprachforscher betrachtet die Zeichen aus dem Donauraum nicht als Schrift, sondern als Zeichen die eine Vorstufe einer Schrift darstellen, und spricht deshalb nicht von einer Donauschrift, sondern von den Vinča Zeichen. Möglicherweise dienten diese Zeichen teilweise kultischen Zwecken. Ein Teil der Zeichen befindet sich am Boden von keramischen Gefäßen und könnte auch teilweise buchhalterischen Zwecken gedient haben. Es werden auch die Möglichkeiten genannt, dass Zeichen auf Gefäßböden Töpferzeichen waren, oder aber Inschriften in Zusammenhang mit Votivgaben, wenn Gefäße einer Gottheit gestiftet wurden. Zahlzeichen könnten eine Art Kalender für die damalige Landwirtschaft und damit zusammenhängende Rituale darstellen.

Tartaria Amulett; Quelle: Mazarin07 [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Harald Haarmann vermutet teilweise eine kultische Bedeutung der Zeichen. Ihm zufolge gibt es einige Schriftzeichen die mehr oder weniger Piktogramme sind, in denen Motive zu erkennen sind wie ein Altar, ein Bootsmodell mit Aufbau (möglicherweise ein Baldachin), eine Flusslandschaft, und ein Katzenkopf. Diese vier scheinen Ähnlichkeit mit anderen Schriften zu haben, wie der kretischen Hieroglyphenschrift, oder auch der altägyptischen, so dass vom Piktogramm auf die Bedeutung geschlossen werden könnte, im Gegensatz zu anderen Zeichen, in denen nicht so ohne weiteres Motive zu erkennen sind. Zur möglicherweise kultischen Bedeutung kommen, wie schon erwähnt, andere Themen hinzu, wie Kalender in Zusammenhang mit der beginnenden Landwirtschaft, also Jahreszeiten, Astrologie, Rituale, Göttinnen.
Harald Haarmann nennt Masken und das Schlangenmotiv und tierköpfige Darstellungen als Kennzeichen des Kults der großen Göttin in der Jungsteinzeit.

Er beschreibt die Religion und Mythologie der Donaukultur als teilweise ähnlich der Kultur im minoischen Kreta, im archaischen Griechenland, und z.B. in Kulten Westanatoliens, und in Mesopotamien.
Nach seiner Ansicht verwandelte sich in Alteuropa der Glaube an weibliche Naturgeister zum Kult der großen Göttin, die in ihren unterschiedlichen Einzelfunktionen dargestellt wurde, wie Vegetationsgöttin, Kornmutter, Fruchtbarkeitsgöttin, Schutzpatronin des Webhandwerks etc. und er benennt mehrere Grundtypen der Darstellung von Göttinnen als Figurinen, wie vogelköpfige Göttin, Schlangengöttin, schwangere Göttin, Kindshüterin, junge Göttin mit erhobenen Armen, aufrecht stehende Göttin. Diese entsprechen jeweils bestimmten Wesenszügen und Funktionen der Gottheit.
Stierhörner als Symbol männlicher Fruchtbarkeit betrachtet er ebenfalls als dem Kult der großen Göttin begleitend zugeordnet, erst in späterer Zeit wurde demnach in Mesopotamien der Stier zum Attribut des dortigen Sturmgotts. Aber auch in Mesopotamien begleitet ein Stier manchmal die Göttin Inanna bzw. Ishtar.
Als Zeremonien und Rituale vermutet er einen Wasserkult, Trankopfer, Prozessionen, und rituelle Ringtänze. Ähnlichkeiten zum alten Griechenland, und zum minoischen Kreta sieht er besonders in den Ringtänzen, Prozessionen und der Existenz von Masken, die bei den Alteuropäern manchmal Gesichtszüge ähnlich denen der griechischen Medusa zeigen. Tänze gab es bei den Griechen z.B. zu Ehren des Gottes Dionysos, die tanzenden Mänaden. Prozessionen, rituelle Tänze, auch heute noch existierende Tempeltänze, werden als spirituelle Kommunikation mit dem Übersinnlichen betrachtet.

Harald Haarmann zeichnet ein überwiegend positives Bild einer friedlichen, matrifokalen frühen Zivilisation im Donauraum. Seine Hypothesen werfen möglicherweise Fragen auf, denn einerseits postuliert er die Entstehung der Schrift in Folge der Flutkatastrophe durch den Bosporusdurchbruch ins heutige Schwarze Meer, und anschließenden Klimaschwankungen. Also eine Schriftentstehung durch Reaktion auf Stress und Wandel, sozusagen. Anderseits beschreibt er eine friedliche, matrifokale Zivilisation, die sich über lange Zeiträume nicht veränderte.
Die Ansicht, dass es einen Kult einer vielgestaltigen, unter anderem mit Vogelkopf oder Vogelmaske dargestellten großen Göttin gab, sowie eine matrilineare Zivilisation im Donauraum, und dass es sich bei den Zeichen aus dem Donauraum um eine Schrift handelt, vertrat auch zuvor schon die aus Litauen stammende, später längere Zeit in Harvard tätige Prähistorikerin Marija Gimbutas.
Nicht alle Archäologen ordneten die Zeichen einer eigenständigen Schrift zu. Der jugoslawische Archäologe Vladislav Popović z.B. bezeichnete die Zeichen aus Tărtăria, Turdaş und Vinča als archaische sumerische Zeichen, er betrachtete diese Orte als sumerische Kolonien.

Die Menschen der Vinča-Kultur siedelten in Häusern aus Flechtwerk und Lehm, mit Herdstellen und Brennöfen. Es gab Heiligtümer mit Altären wie z.B. gefunden im rumänischen Parța. Später entstanden im südöstlichen Europa die Siedlungen der Cucuteni-Tripolje-Kultur mit bis zu 20 Meter langen Häusern. Mit mehreren Tausend Häusern auf hunderten Hektar Land erreichten diese Siedlungen teilweise stadtartige Ausmaße.
Da die Erforschung der kupfersteinzeitlichen Siedlungen noch bei weitem nicht abgeschlossen ist, werden vielleicht zukünftige Forschungen zur Einordnung der Schriftzeichen beitragen.

 

Siedlung der Cucuteni-Tripolje-Kultur, Talianki, Quelle: Kenny Arne Lang Antonsen [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

Siedlung der Cucuteni-Tripolje-Kultur, Maidanetske, Quelle: Kenny Arne Lang Antonsen [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

 

Ein Tonmodell eines Cucuteni-Trypillian-Hauses, das rechts oben einen Töpferofen und links einen kreuzförmigen Kochherd zeigt. Quelle: Wikimedia Commons

Literatur:

Haarmann, Harald: Das Rätsel der Donauzivilisation. Die Entdeckung der ältesten Hochkultur Europas. München 2011, ISBN 978-3-406-62210-6.
Haarmann, Harald: Einführung in die Donauschrift. Hamburg 2010, ISBN 978-3-87548-555‑4.
Haarmann, Harald: Geschichte der Sintflut. Auf den Spuren der frühen Zivilisationen. München 2003, ISBN 3-406-49465-X.
Haarmann, Harald: Geschichte der Schrift. München 2002, ISBN 3-406-47998-7.

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