Virtuelle und andere Realitäten

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Text: Annette Bültmann

 

Was ist eigentlich Virtualität? Die virtuelle Welt ist oft stark von der realen Welt beeinflusst, oft versucht sie  sogar, diese nachzubilden. Als 3D Simulationen im Bereich Produktpräsentation, Wissensvermittlung oder Forschung werden oft Szenarien oder Abläufe aus der realen Welt nachgebildet, z.B. als Simulation technischer Vorgänge, oder z.B. Animation dreidimensionaler Modelle ausgestorbener Tierarten, auch der Fluss von Wasser wird simuliert, oder Wind und Wolken, bei Berechnungen von Wettervorgängen.
Eine virtuelle Welt kann eine reale Szenerie abbilden, oder auch nicht.
Eine Vermischung von Realität und Fiktion, oder Übergänge zwischen Realität und Virtualität, gab es lange vor der Verbreitung des Computers. Magrittes Pfeife weist auf dieses Phänomen hin. Dieses Gemälde zeigt eine Pfeife, darunter den Schriftzug: Ceci n’est pas une pipe. Dies ist keine Pfeife, aber die meisten Betrachter des Bildes würden vermutlich, wenn sie gefragt würden, was ist das, dann antworten: eine Pfeife. Aber genau genommen müsste man antworten, das ist ein Gemälde. D.h. an die Repräsentation von Dingen auf Bildern hat man sich schon soweit gewöhnt, dass eine Darstellung als das Ding selbst betrachtet wird.
Wenn Magrittes Pfeife nicht real ist, ist sie demnach virtuell?
Virtuelle Welten in der Computerkunst gehen manchmal eine anderen Weg und erschaffen kein illusionäres Abbild, sondern eine eigene Welt mit ihren Eigenarten, die sich ebenfalls an der Realität orientieren kann wie bei der Installation „Dialogue with the knowbotic South“  geschaffen von der Künstlergruppe Knowbotic Research 1994, eine Art virtuellem Antarktis Raum.   Dieser ist keine Simulation einer Eislandschaft, aber dennoch eine vom Besucher begehbare virtuelle Welt mit Daten von Antarktis Forschungsstationen, die sich zu Grafiken als Projektionen anordnen, interaktiv mit den Benutzern reagierend. Ausgestellt im V2_ exhibition room in Rotterdam, nahm die Arbeit auch Bezug auf den flämischen Maler Jan van Kessel und auf Kunst- und Wunderkammern.
Kunst- und Wunderkammern waren quasi die Vorläufer der heutigen Museen, es waren Sammlungen von Bildern und Objekten unterschiedlicher Art, Kuriositäten, aber auch Kunst und technische Objekte, die die Besucher dieser Kammern in ein eigenes Universum von Kunst, Natur, Kult, und Wissenschaft eintreten ließen. Dort gab es Kunstwerke, Bilder und Skulpturen, der Renaissance aber auch teilweise der Antike, Artefakte aus anderen Erdteilen, Homunculus Figuren, Tierschädel, Reliquien, Trinkhörner, astronomische Instrumente, Globen, Perspektivkästen, Miniaturmodelle.

Ausstellung der Kunst- und Wunderkammer auf Burg Trausnitz, Foto: Klaus Graf [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

All diese Dinge waren dem Alltag entrückt und versetzten möglicherweise den staunenden Besucher in eine Form von anderer Realität. Daher stellt sich die Frage, ob auch Wunderkammern bereits eine Verwandtschaft zu heutigen virtuellen Räumen aufweisen.

Kunstkammer Stuttgart 1670, Quelle: Wikimedia Commons

Man könnte sich auch fragen, ob durch die Ausstellung früher Automaten eine Verbindung zur heutigen Robotik besteht. In der Renaissance und im Barock wurden neben beweglichen Erd- und Himmelsgloben, astronomischen Uhren, Mikroskopen und Ferngläsern auch bewegliche Figuren entwickelt. Von Lenoardo da Vinci z.B. existieren Zeichnungen eines Roboters, der seine Arme bewegen und den Kopf drehen konnte. Automaten dienten in der Renaissance teilweise der Unterhaltung, wie z.B. ein Neptun als Trinkspielautomat, auf einer Schildkröte reitend. Der Jesuit Athanasius Kircher erfand die erste Laterna Magica, den Vorläufer heutiger Projektoren. Er entwarf auch unter anderem eine Komponiermaschine und einen hydraulischen Orgelantrieb. Frühe Rechenmaschinen bereiteten die Entstehung der Computertechnik vor.

 

Laterna Magica von Athanasius Kircher, Quelle: Wikimedia Commons

Nachbau einer Rechenmaschine von Wilhelm Schickard, Foto: Herbert Klaeren [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Siehe auch: Friedbert Schulze, Mixed Reality, im Archiv, Ausgabe 32

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