Wo liegt der Mittelpunkt der Welt?

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Text: Annette Bültmann

 

Wo befindet sich der Mittelpunkt der Welt, ist dieser ein messbarer Ort auf der Oberfläche des Planeten, oder ist er eine individuelle Erscheinung, das Zentrum eines persönlichen Kosmos?

Den geologischen Erdmittelpunkt im metallischen Erdkern hat kein Mensch je gesehen, und ihn wird auch vorläufig keine Sonde besuchen, denn wegen der hohen Temperaturen und des Drucks im Erdinneren lassen sich die dortigen Zustände nur anhand seismischer Messungen ungefähr erahnen.

Daher sollen Betrachtungen über zentrale Orte sich hier auf die Erdoberfläche beschränken, die begehbare und befahrbare Welt der Lebewesen.
Die Menschen früherer Kulturen haben längere Zeit hauptsächlich ihre nähere Umgebung als Zentrum der Welt betrachtet, kartografische Darstellungen der Frühgeschichte zeigen meist nur eine Siedlung und ihre Umgebung.

Im archaischen Griechenland gab es den Omphalos, den Nabel der Welt im Apollonheiligtum von Delphi. Das Orakel von Delphi war im antiken Griechenland eine Kultstätte, zu der die Menschen pilgerten um Weissagungen zu empfangen von der Pythia, einer Orakelpriesterin, benannt nach Python, der geflügelten Schlange, die ursprünglich den Ort bewachte. Hier befand sich auch für die griechische Zivilisation der damaligen Zeit der Mittelpunkt der Welt. Der Sage nach ließ Zeus zwei Adler vom äußersten Westen und im äußersten Osten der damals bekannten Welt aus fliegen. Wo sie sich trafen, fiel ein Stein vom Himmel. Dieser eiförmige Stein wurde als Omphalos oder Nabel der Welt verehrt. Möglicherweise handelte es sich ursprünglich um einen Meteoriten, später um einen reliefgeschmückten bearbeiteten Kalkstein, ein solcher ist heute im Museum von Delphi zu sehen. Im Außenbereich von Delphi befindet sich ein Stein ohne Relief, der an ein in der Mitte durchgeschnittenes, nach oben zugespitztes Ei erinnert.

 

Omphalos in Delphi, By Zde (Own work) [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

In der Römerzeit wurde das Reisen zu Pferde üblich, und es entstand die Tabula Peutingeriana, die das Straßennetz der Römer zeigt, sie hat die Form einer langen Rolle, und ist daher keine topografische, sondern eine räumlich verzerrte, in die Länge gezogene Darstellung, in der es hauptsächlich um die Verbindungen von von Wegen, daran gelegenen Städten, Rastplätzen, Pferdewechselstationen geht, es handelt sich also um eine Straßenkarte für Reisende, immerhin erstreckt sich diese Welt aber von den Britischen Inseln bis nach Asien. Diese fast 7 Meter lange Rollkarte zeigt Rom nicht genau in der Bildmitte, aber die Stadt ist durch einen Kreis um ein Piktogramm in gewisser Weise als zentraler Punkt der Karte gekennzeichnet.

 

Tabula Peutingeriana, Ausschnitt, Quelle:
Wikimedia Commons

 

Und auch die Römer hatten einen Mittelpunkt, von dem aus die Meilen der römischen Heerstraßen gemessen wurden. Auf dem Forum Romanum, vor dem Triumphbogen des Septimius Severus, befand sich ein kleiner Tempel namens Umbilicus urbis, Nabel der Stadt, von dem heute noch ein Mauerrest erhalten ist.

 

Umbilicus urbis, von Karlheinz Meyer (Eigenes Werk) [GFDL oder CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Im Mittelalter zeigt die Ebstorfer Weltkarte die Stadt Jerusalem als Mittelpunkt der Welt, auch wenn diese Karte vermutlich im Benediktinerinnenkloster Ebstorf in der Lüneburger Heide hergestellt wurde.

 

Ebstorfer Weltkarte, Ausschnitt Quelle: Wikimedia Commons

 

Als die physikalischen und astronomischen Kenntnisse es zuließen, die Welt als Kugel zu vermessen, und die Einteilung der Welt in Längen- und Breitengrade begann, hatten zunächst viele Länder jeweils einen eigenen Nullmeridian.
Auf der Internationalen Meridian-Konferenz in Washington wurde im Jahr 1884 der Nullmeridian festgelegt, es wurde nach Diskussion mehrerer Möglichkeiten der Längengrad von Greenwich als weltweit gültiger Längengrad mit dem Wert 0 ausgewählt. Greenwich hatte bereits seit dem Jahre 1676 ein Observatorium, der heutige Nullmeridian führt aber wegen eines seit 1984 gültigen Referenzsystems,  das die Kontinentalverschiebung berücksichtigt, ca. 100 Meter vom Royal Observatory entfernt durch einen Park. Vom Observatorium ausgehend, zeigt heute ein grüner Laserstrahl die Richtung des Meridians an. Befindet sich demnach in Greenwich der Mittelpunkt der Welt?

 

 

Nicht für Salvador Dalí, denn für ihn liegt dieser in Perpignan.
Dalí hatte ca 1930 erklärt, ein “Denkvorgang paranoischen, aktiven Charakters” liege seiner Kunst zugrunde.
Als er 1965 das Gemälde “der Bahnhof von Perpignan” fertigstellte, hatte ihn dieser Ort bereits jahrzehntelang in dieser Weise beschäftigt. Einige Motive in dem Bild sind in Anlehnung an das Gemälde L’Angelus des französischen Malers Millet  aus dem Jahre 1859 entstanden. Das Bild enthält sowohl christliche Motive als auch Fruchtbarkeitssymbole. Der Bahnhof ist dargestellt durch einen Eisenbahnwaggon der über sich in der Bildmitte kreuzenden Strahlenbündeln schwebt, die Darstellung entwickelt eine eigenartige Metaphysik, der Bahnhof, der in Dalís künstlerischem Universum der Mittelpunkt der Welt ist, wird als magischer Ort dargestellt. Dalí selbst scheint von oben herab in das Bild zu schweben, während Gala unten über einer Schubkarre schwebt. Die Idee, seine paranoischen Obsessionen in diesem Bild auf die Leinwand zu bringen, hatte Dalí im September 1963 nach einer Vision vor dem in der Abendsonne rötlich glühenden Bahnhof.

 

Perpignan gare. By Cayambe (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Perpignan liegt am Rand der Pyrenäen in Frankreich, ca. 90 km entfernt von Dalís am Meer gelegenen spanischem Wohnort Port Lligat an der katalanischen Küste. Die Landschaft dieser Küste ist in einigen von Dalís Gemälden zu sehen und taucht auch hier am unteren Rand des Bildes als Meer und Schiff auf.

Falls nun jemand doch lieber unter Tage den geografischen Mittelpunkt der Erde suchen möchte, wäre das bei der Lektüre von Jules Vernes Roman “Die Reise zum Mittelpunkt der Erde” aus dem Jahr 1864 möglich. Die Abenteurer auf dem Weg ins Erdinnere gelangen zu einem unterirdischen Meer, auf dem sie sich mit einem Floß fortbewegen. Sie begegnen dort schwimmenden Dinosauriern, und werden schließlich durch den Krater des Vulkans Stromboli zurück auf die Erdoberfläche geschleudert.

 

“Lektüre”
Computergrafik von Jörg Boström

 

Nun stellt sich noch die Frage, gibt es auch einen Mittelpunkt des Universums?
Der Wissenschaftsjournalist Rainer Kayser verneint dies in dem Artikel “Hat das Universum einen Mittelpunkt?”, er schreibt, auch wenn sich andere Sterne und Galaxien von uns fortzubewegen scheinen, bedeute dies nicht dass die Erde im Mittelpunkt liegt. Jedem Beobachter im Universum, egal wo er sich befindet, böte sich das gleiche Bild der Galaxienflucht. Er vergleicht in dieser Hinsicht das Universum mit einem Rosinenkuchen, der aufgeht: alle Rosinen entfernen sich weiter voneinander.
Nun möchte ich dazu folgendes anmerken: Natürlich hat ein Rosinenkuchen einen ungefähren Mittelpunkt, aber der ist vermutlich leichter von außen festzustellen. Befindet man sich innen im Kuchen, z.B. auf einer der Rosinen, dürfte es sowohl schwierig sein, herauszufinden wo der Kuchen anfängt oder aufhört, als auch, wo sein Mittelpunkt liegt. Sollte es auch außerhalb des uns bekannten Universums Himmelskörper und Lebensformen geben, sendet ihnen das vm2000.net hiermit beste Grüße aus dem Inneren des Rosinenkuchens, und bittet, falls es einen solchen geben sollte, um Übermittlung der Position des Mittelpunkts.

 

 

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