Villa Cavallino Bianco

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Eine neu entdeckte Villa am Tiber-Ufer mit sensationellen Malereien des bislang unbekannten antiken Künstlers Virpacis Celer Pictor

von Hilarius Irving

Ein Sensationsfund in der Garten-Anlage der Villa Farnesina im römischen Stadtteil Trastevere begeistert derzeit die wissenschaftliche Welt. Nachdem schon 1880 unter dem Garten der Villa Farnesina eine antike Villa aus augusteischer Zeit, die sog. Casa della Farnesina bzw. Villa Iulia entdeckt und immerhin partiell freigelegt worden war, machten im Herbst 2016 Bauarbeiter bei Befestigungsarbeiten am Tiber-Ufer eine weitere aufsehenerregende Entdeckung: Eine zweite römische Villa, die sich unter der Garten-Anlage der Villa Farnesina über viele Jahrhunderte hinweg erhalten hat. Professor Alessandro Cabanossi, der aus den USA sofort nach Rom eilte, um die Grabungsleitung zu übernehmen, betont die Einmaligkeit der Entdeckung: „Das ist eine wirklich sensationelle Entdeckung. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass wir in diesem Areal noch eine zweite derart gut erhaltene Villa urbana aus der römischen Antike finden würden. Derart gut erhaltene Stadt-Häuser kennen wir bislang nur aus Pompeji.“ Tatsächlich ist nicht nur die Bausubstanz der Stadt-Villa erstaunlich gut erhalten. Vielmehr präsentieren sich auch die inzwischen freigelegten Räumlichkeiten zusammen mit den dort überreich angebrachten Wandmalereien in ungeahnt hervorragendem, ja vergleichsweise einzigartigem Zustand – so als ob die einstigen Bewohner die Villa gerade erst verlassen hätten. Freilich: Die Zeit drängt. Der Kontakt mit Sauerstoff infolge der Freilegungsarbeiten setzt vor allem den Wandmalereien sichtbar zu. Professor Cabanossi mahnt eindringlich zur Eile. Inzwischen ist es ihm gelungen, die italienische Politik für das Vorhaben zu gewinnen: Das italienische Kulturministerium stellte aus seinem Programm für den Schutz des kulturellen Erbes kurzfristig 1,3 Millionen Euro für eine Notgrabung zur Verfügung. Die Grabungsarbeiten sind mit Hilfe dieser finanziellen Absicherung bereits tüchtig vorangeschritten.

Wer in der Villa einst wohnte, ist derzeit noch völlig ungewiß. „Auf jeden Fall“, so Professor Cabanossi, „muß der Hausbesitzer wohlhabend gewesen sein. Denn auch wenn die Villa von der Grundfläche her vergleichsweise klein ist und dergestalt nicht mit der Casa della Farnesina mithalten kann, so überrascht doch der Luxus der Ausstattung, zumal der Luxus der Wandmalereien.“ Tatsächlich wurde die Villa im Laufe der Jahrhunderte mindestens einmal von Plünderern heimgesucht: Einzelne, wahllos auf dem Boden verstreute Ohr- und Fingerringe aus Gold künden von einem hastigen Raubzug durch das Haus und belegen zugleich, dass die Plünderer zweifellos hinreichend Wertgegenstände und Goldgeschmeide gefunden haben werden, so dass es ihnen auf ein paar Stücke mehr oder weniger nicht ankam. Um so glücklicher ist Professor Cabanossi über den tadellosen Zustand der Wandmalereien: „Glücklicherweise waren die frühen Räuber keine Vandalen, haben zwar alle beweglichen Wertgegenstände mitgenommen, aber doch die Malereien unbeschädigt gelassen.“

Ist bereits die Entdeckung und der hervorragende Erhaltungszustand der Villa eine Sensation, so sind es die Wandmalereien, soweit sie bislang kenntlich sind, doch noch um so mehr. „Der Künstler dieser Malereien war seiner Zeit erstaunlich weit voraus,“ begeistert sich Professor Cabanossi und weist auf die nachgerade moderne Anmutung und Technik der Wandmalereien hin, die, wie er betont, „neben der Archäologie gerade auch die Kunstgeschichte ohne jeden Zweifel zu einem Neu- bzw. Umdenken zwingen wird.“ Freigelegt wurde bereits der Eingangskorridor, die sog. Fauces, ferner das Atrium, mithin der erste Repräsentationsraum der Villa urbana, das daran angrenzende Tablinum, das Arbeitszimmer des Hausherrn bzw. das Sommer-Speisezimmer, sowie das Triclinium, der große Speiseraum. Ein Gang durch diese Räumlichkeiten erfüllt den Betrachter in der Tat sogleich mit großem Erstaunen: Kommen die Fauces mit nur einem Fußbodenmosaik noch vergleichsweise bescheiden daher, so entfaltet sich beim Betreten des Atriums vor dem Auge des Betrachters eine wahrlich ungeahnte Pracht an Szenerien und Farben. Auf gleich drei Seiten des Raumes finden sich insgesamt fünf großflächig angebrachte Wandmalereien mit teilweise angedeuteten Bilderrahmen. Hocherotische grazile Frauengestalten präsentieren sich auf satt farbigem Hintergrund in verführerischen Posen – die einen ein wenig verhaltener, zuweilen fast jungfräulich schüchtern, die anderen nachgerade drangvoll-provokant ihre unbekleideten Körper und deren Vorzüge in Szene setzend und gleichsam im Laufsteg-Gang eines Models. Einzelne Architektur-Elemente wie Säulen oder Verzierungen aus Pflanzen-Girlanden sind behutsam hinzugefügte Zutaten, die den Blick nicht vom Eigentlichen ablenken. Die Detailverliebtheit und die fast fotografische Wiedergabe der in marmorner Anmutung gehaltenen Frauengestalten, die sich auf den fünf Wandmalereien in variierenden Zusammenstellungen teilweise wiederholen, überrascht, ebenso der Wechsel von klassisch-stilisierten mit vergleichsweise realistisch gehaltenen Frauenköpfen und -gesichtern. Nicht minder überrascht die für die antike Malerei völlig ungewöhnliche Technik des Weichzeichnens mit angedeutetem Schattenwurf. Ins Auge fallen darüber hinaus die allenthalben auf den Malereien sichtbaren, vor allem in Marmor-Weiß gehaltenen Pferdegestalten, die entweder nur leichthin angedeutet sind, quasi aus dem Off hervorschimmern oder aber den deutlich ausgeführten Hintergrund für die Frauengestalten bilden. Als einziges männliches Wesen im Reigen der Frauengestalten im Atrium präsentiert sich ein üppig gelockter Jüngling, der auf dem Rücken eines kraftvoll ausschreitenden Pferdes sitzt und den fast melancholischen Blick über den Kopf des Betrachters hinweg ins Nichts richtet, umgeben von zwei Frauengestalten, die ihren Blick zur Seite abwenden und in ihrer Zehenspitzen-Haltung gleichsam erstarrt zu sein scheinen.

In dem an das Atrium angrenzenden Tablinum fällt der Blick des Betrachters auf zwei großflächige Malereien, die die Motive des Atriums aufgreifen: Grazile Frauengestalten einerseits und die Darstellung eines in heftiger Bewegung, im verzweifelten Kampf mit einem Löwen gezeichneten Pferdes andererseits, dieses Mal mit einer lanzenbewehrten Amazone als Reiterin.

Im Triclinium endlich dominieren Reiter-Szenen vier der dort angebrachten Wandmalereien. Hinzu tritt als fünftes Wandgemälde die bereits aus dem Atrium bekannte, leicht variierte massierte Zusammenstellung erotischer Frauengestalten – dieses Mal mit insgesamt 12 Frauen und am oberen Bildrahmen ergänzt durch 12 Pferdeköpfe.

Die omnipräsenten Pferde-Darstellungen im Atrium, Tablinum und Triclinium waren es, die Professor Cabanossi bei seiner ersten Sichtung der freigelegten Räume sogleich tief beeindruckt hatten und ihn inspirierten, der Villa des unbekannten Hausbesitzers einen passenden modernen Namen zu geben, mithin „Villa Cavallino Bianco“.

So wie bei den Wandmalereien in den Stadt-Häusern Pompejis wird man davon ausgehen können, dass der Künstler die Motive seiner Malereien in Abstimmung mit dem Hausherrn an den Wänden der Villa anbrachte, die Art der Ausführung und ihre Details aber selbst bestimmte. Das antike Haus war im Unterschied zum Haus heutiger Zeit kein Privat- bzw. Rückzugsbereich, sondern ein für Freunde, geladene Gäste, aber auch spontane Besucher wie Klienten oder Geschäftsleute stets offenes Haus. Die Ausstattung und gerade auch die Wandmalereien dienten dabei der Selbstdarstellung und Selbstinszenierung des Hausherrn, waren also ganz bewußt und gezielt ausgewählt. Der Hausherr der „Villa Cavallino Bianco“ hatte, so betont Professor Cabanossi, „das große Glück, einen Künstler engagieren zu können, der seine Aufgabe mit viel Phantasie, größtem Geschick und meisterhafter Hand ausführte.“ Fast einmalig in der Tradition römischer Wandmalerei ist es, dass uns dieser Künstler tatsächlich namentlich bekannt ist; denn im Unterschied zu all den anderen anonymen römischen Malern der frühen Zeit hat der in dieser Villa tätige Maler seine Wandmalereien persönlich signiert: Virpacis Celer Pictor. So lautet der Name des Meister-Malers. „Um so bedauerlicher ist es, dass wir über Virpacis Celer Pictor bislang nichts Genaueres in Erfahrung bringen konnten, d.h. weder zu seiner Biographie noch auch zumindest zu seinen genauen Lebensdaten,“ führt Professor Cabanossi aus. Trotz dieser Aporie überwiegt bei dem Archäologen die Euphorie über das Entdeckte und die darin liegende Sensation: „Auch wenn wir derzeit natürlich noch nichts Abschließendes sagen können (wir haben bislang ja erst drei Räume freilegen können), so ist es doch schon jetzt überaus bemerkenswert, dass ein römischer Hausherr die Wände seines Hauses, zumal die seiner Repräsentationsräume, die seinen Gästen und Besuchern offen zugänglich waren, derart offensiv und massiert mit hocherotischen Motiven über und über verzieren ließ.“ Hinsichtlich der Pferde-Darstellungen möchte sich Cabanossi noch nicht endgültig festlegen: „Die in den drei Räumen durchgängig perpetuierte Junktur der Frauengestalten mit den Pferde-Abbildungen ist in der Tat ungewöhnlich und für die antike Malerei einmalig. So viel kann ich immerhin schon sagen. Was uns der Hausherr bzw. der Künstler damit sagen möchten, muß aber noch offen bleiben, solange wir nicht auch die restlichen Räume und Wandmalereien gesichtet haben. Aber schon jetzt gilt: Was auch immer der tiefere Sinn dieser Verknüpfung sein mag: In dem Maler Virpacis Celer Pictor hat der anonyme Hausherr einen grandiosen Maler gefunden, der die Idee des Hausherrn beeindruckend phantasievoll, mit ungeahnter Technik und in meisterlicher Perfektion ausführte.“

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