Eine Reise durch die japanischen Inseln Hokkaido und Karafuto

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Eine Reise durch die japanischen Inseln Hokkaido und Karafuto
Tokio-Hokkaido-Karafuto-Hokkaido-Tokio
vom 14. August bis 1. September 1927

Bereicht von Lebrecht Grau

Vorbemerkung

Der Verfasser wurde im Mai 1926 von seinem Arbeitgeber, einer Hamburger Exportfirma, für drei Jahre nach Japan geschickt. Er hatte dort die Aufgabe, Werkzeuge aller Art zu verkaufen. Diese Aufgabe erforderte häufige Reisen, bei denen der Verfasser auch jede Möglichkeit nutzte, Land und Leute kennen zu lernen und zu fotografieren. Der folgende Bericht beschreibt eine besonders ausgedehnte Reise dieser Art. Sie führte im Norden bis nach Karafuto (Sachalin), das seit 1945 sowjetisch bzw. russisch ist. Die Reisestrecke betrug insgesamt 4.760 km.

Zahlreiche weitere Aufnahmen des Verfassers, ergänzt durch Auszüge aus Briefen an die Verwandten daheim, sind in Band 15 der “Reihe zur Geschichte Asiens” mit dem Titel “Lebrecht Graus Japanjahre in Wort und Bild” enthalten (Iudicium Verlag GmbH, München 2017, ISBN 978-3-86205-215-8).

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Die Zahl der Ausländer, welche die beiden nördlichen Inseln Japans, Hokkaido und Karafuto, besuchen, ist sehr gering. Für Geschäftsleute bietet sich nur wenig Arbeitsfeld, und eine reine Vergnügungsreise dorthin zu wagen, erfordert schon Geld, Zeit und ein wenig Mut; denn auf Fremdenverkehr ist man dort natürlich nicht eingestellt, und, so schön Hokkaido an sich ist, die Mühen der langen Reise würden sich doch nicht ganz verlohnen. Bis nach Karafuto wird sich überhaupt kaum ein Wanderer versteigen. Süd-Hokkaido macht vielleicht eine Ausnahme, es gibt dort eine Reihe ausländischer Residenten, und mehrere bekannte Schwefelquellen ziehen im Sommer auch Ausländer in nicht unbeträchtlicher Zahl an.

Ich gehöre also zu den wenigen, die den Norden kennen lernten durch Geschäfte, die sie dorthin führten. Bei Geschäftsreisen heißt es natürlich, die Zeit für die Arbeit auszunutzen, und das Vergnügen tritt in den Hintergrund. Aber trotzdem haben wir viel gesehen, indem wir auch den kürzesten Aufenthalt dazu wahrnahmen, unsere Nase in die verschiedensten Gegenden zu stecken. – Mein Begleiter war ein noch sehr jugendlicher Japaner, der bei jedem Unsinn mit Behagen seinen Mann stand. Er hat in den für Japan geschäftlich so üppigen Nachkriegsjahren bessere Zeiten gesehen, und das, was Japan an Unterhaltung usw. bieten kann, im großen so weit ausgekostet, dass er sich heute in jeder Lage zu hel-fen und jeder Lage so viel Interessantes wie möglich abzugewinnen weiß.

Nachdem wir den Zeitpunkt der Abreise zweimal hatten aufschieben müssen, einmal wegen plötzlicher Erkrankung des Japaners und dann, weil die Bettplätze des Zuges ausverkauft waren, ging es endlich am 14. August, abends um ½11 Uhr, los, und das Bewusstsein, dass die Reise, die vorher so lange durch immer wieder neue Schwierigkeiten in Frage gestellt zu werden schien, nun Wirklichkeit geworden war, ließ mich tief und gut schlafen.

Als ich am folgenden Morgen aufwachte, hielten wir gerade auf dem Bahnhof in Sendai[1], der bedeutendsten Stadt des nördlichen Teiles der Hauptinsel Japans, die ich hier von jetzt ab bei ihrem richtigen Namen, Hondo, nennen will. Die Ausläufer der Stadt ließen auf ein recht freundliches Aussehen schließen. Und wie schön war hier das Wetter! Stahlblauer Himmel, klar, üppig-grüne Berge in der bekannten, zerklüfteten Form, kein langweiliger Punkt in der mit saftigem Grün vollkommen überzogenen Landschaft. Langsam traten dann die Berge zurück, wurden blauer und machten das Bild zusammen mit den Wolken, die sich mehr und mehr am Himmel zusammenballten, noch farbenfreudiger. Das Gewitter, dem wir rasch entgegenfuhren, entlud sich mit furchtbarem Regen; es ließ zunächst einen grauen Himmel zurück, der sich stellenweise aber bald erhellte. Mit zunehmender Höhe wurden die Reisfelder seltener, an ihre Stelle traten Felder mit Kohl und anderen Pflanzen.

Um ½5 Uhr erreichten wir nach einstündiger Fahrt am Meer entlang Aomori, den Endpunkt der Eisenbahn und nördlichen Hafen Hondos, dessen Bahnhof direkt am Wasser liegt. so dass man vom Zuge gleich in den Dampfer steigen kann. Wir benutzten nicht den großen Dampfer der japanischen Reichsbahn, der nach Hakodate läuft, sondern das etwa 1.800 Tonnen große Dampferchen einer Privatschiffahrtsgesellschaft, das uns weiter östlich, nach Muroran, brachte. Der Dampfer, der übrigens recht schmutzig war, verließ bald darauf den Hafen. Vor uns sahen wir verschwommen die letzten Bergausläufer Hondos, welche die Aomori-Bucht von rechts und links einschließen. Das Wasser war ruhig und versprach eine ebensolche Fahrt. Das Schiff schien leer, doch waren, wie uns gesagt wurde, 180 Fahrgäste dritter und 20 zweiter Klasse an Bord (wir hatten zwei von den vorhandenen vier Plätzen erster Klasse belegt). Als Nachbarn hatten wir ein altes, redseliges japanisches Männchen, das uns mit frischen Bohnen und Schnaps traktierte. Das Essen war zwar europäisch, aber kaum genießbar. Gegen 8 Uhr ging der Mond auf und lugte ab und zu aus zerfetzten Wolken hervor – ruhiger Friede auf dem Wasser. Aber mit dem Austritt aus der Bucht hörte der Friede bald auf, und ich hielt es für geraten, mich in die Falle zu machen. Trotz aller Schaukelei habe ich gut geschlafen.

Um ¾ 4 Uhr weckte uns aber schon wieder der Boy: Ankunft in Muroran. In der Dämmerung war noch nichts zu erkennen, hinter uns hoben sich die Silhouetten einiger ankernder Dampfer scharf gegen den heller werdenden Himmel ab, die Lage des Städtchens zeigte eine Fülle von Lichtern an, die sich bis hoch in die Berge hinaufzogen. Die Zeit bis zum Abgang unseres Zuges nutzten wir, ein wenig durch die hübsche breite Hauptstraße zu streichen. Da wir an diesem ersten Tage nur eine Fabrik besuchen konnten – unser Ziel waren die Papiermühlen -, beschlossen wir, in Noboribetsu halt zu machen, was den Ruf hat, Hokkaidos bestes Schwefelbad zu sein. Die kurze Fahrt bis dorthin zeigte nichts Schönes: kahle, niedrige Berge, die jedoch zum Ziel hin bewaldet wurden. Das Bad selbst liegt abseits, wir mussten uns noch eine gute halbe Stunde einer Elektrischen anvertrauen, die sich in ununterbrochenen Windungen in die Berge hinaufarbeitete, vorbei an tiefen Schlünden, in die es sich hinabblickte wie in unberührten Urwald. Zum ersten Male in Japan sah ich hier wieder Wald, herrlichen Wald.

Ein Absteigequartier zu finden fiel nicht schwer; es gibt in Japan immer Leute, die einen “erwarten”. So auch hier. Das Hotel konnte zwar etwas näher liegen, doch war es recht gut. Wie auf der ganzen Reise war das erste ein Bad, das unvermeidliche Bad, das man nimmt, wenn man ankommt, und sei es dreimal am Tage. Das Bad hier hatte aber nun sein Besonderes: es war ein Schwefelbad, in das Männlein und Weiblein, so wie sie Gott geschaffen hat, hineinstiegen und vor Behagen stöhnten. Links von mir keuchte eine Alte, der man den Wunsch, weniger dick zu sein, ungefähr vom Gesicht ablesen konnte. Die Aussicht nach rechts war dagegen besser: ein anscheinend junges Ehepaar, dessen weibliche Hälfte später auf der Weiterreise meine Nachbarin war. Das Badehaus selbst war nicht sehr groß, in der Mitte eine Grotte, an den Wänden aufgemalte Nixen und andere schöne Dinge. Das Wasser war milchig weiß und sehr heiß, wie übrigens alle japanischen Bäder, die durchschnittlich eine Temperatur von 40 bis 45° haben, so dass man immer das Gefühl hat, man solle bei lebendigem Leibe gekocht werden.

Zu der etwas weiter bergauf gelegenen Quelle führte uns unsere Zimmermagd, ein sehr freundliches Wesen mittleren Jahrganges. Schwefelquellen gibt es in Japan in großer Zahl; diese war die erste, die ich sah, und mein Interesse war darum doppelt groß. In einem eingestürzten Kraterkessel brodelte und kochte und dampfte es, dass man kaum atmen konnte. Stellenweise schoss die Brühe in breiter Fläche aus dem Boden; hier sickerte es langsam, dort quirlte nur Dampf aus der brüchigen Erdkruste. Wir krochen von Felsen zu Felsen, die durch die Schwefelmasse, die sich im Laufe der Zeit aus den Dämpfen abgesondert hat, so intensiv gelbgrün schimmern, dass die Augen schmerzen. Man bekam eine Ahnung von der Macht der Feuergewalten, die in der Erde toben, und hier so nahe unter der Kruste! – Leider konnten wir uns in dem freundlichen Nestchen, in dem wir übrigens auf eine ganze Reihe Ausländer stießen, nur wenige Stunden aufhalten.

Am Nachmittage wollten wir am nächsten Haltepunkt, Tomakomai, eine Papiermühle besuchen. Bis dahin waren es noch fast drei Stunden Bahnfahrt. Es verlief dann alles programmgemäß. Zu unserem Programm gehörte es zwar nicht, dass dieser erste Besuch so gut wie erfolglos war, aber daran ließ sich nichts ändern. Auf dem Bahnhof hatten wir nach getaner Arbeit gerade noch Zeit, ein sehr ärmliches Reisgericht zu verschlucken, dann ging’s weiter bis Takikawa, wo wir zu übernachten gedachten. Mein Japaner beurteilte dieses Nestchen folgendermaßen: “A nice little dirty town”, was zu deutsch etwa heißt: “Ein niedliches kleines Drecknest”, übrigens ein sehr zutreffendes Urteil. Aber welcher Schrecken im Hotel, als wir europäisches Essen verlangten. Unmöglich! In solchen Fällen der Verlegenheit waren unsere Rettung immer Spiegeleier. Aber auch die bereiteten den Leuten Schwierigkeiten, sie waren greulich versalzen.

Am nächsten Morgen – das war also der 17. – konnten wir mal ausschlafen, da unser Zug erst um 10 Uhr abging. Die Umgebung war bis dahin öde und flach gewesen, jetzt wurde der Boden wieder gebirgig-wellig und war auf weite Strecken gut kultiviert mit Reis, Bohnen, Kornfrucht, Mais usw. Die kleinen Bauerngehöfte waren gleichmäßig verstreut und machten, obwohl nicht nach Reichtum aussehend, immerhin einen wohlhabenderen Eindruck als die im südlicheren Teile. Höher und höher wurden die Berge, schroffer ihr Aussehen, ihr Kleid war Eichenwald. Die Lokomotive musste sich arg plagen, uns die steilen Windungen hinaufzuziehen, aber endlich war es doch vollbracht, wir hatten den höchsten Punkt im Netz der japanischen Eisenbahn erklettert und nach einem langen Tunnel befanden wir uns wieder auf der hellen Sonnenseite, gleichsam wie auf einem Aussichtsturm, vor uns eine unendliche Talfläche, bläulich, neblig, beleuchtet von den letzten Strahlen der hinter den Bergen verschwindenden Sonne, ein herrliches Bild. Und mit einem Schlage änderte sich auch die Luft, frischer Wind wehte uns entgegen. Aber nun ging’s hurtig abwärts in Schlingen, die sich oft fast bis zum Kreise schlossen. Der Talboden war bald erreicht, er machte einen recht fruchtbaren Eindruck, Kartoffeln und Hafer wechselten sich ab. So blieb es bis Obihiro, einem Städtchen von reichlich 20.000 Einwohnern, wo wir wenig später einliefen.

Am Bahnhof wurden wir von Verwandten meines Begleiter erwartet, denen wir unsere Ankunft vorher telegrafiert hatten. Das beste Hotel lag gleich dem Bahnhof gegenüber, und dort hatten wir Gelegenheit, uns vorübergehend recht gemütlich zu fühlen, ein sauberes, belebtes Haus, in dem es vor allem Gutes zu futtern gab. Mein Japaner ließ mich bald allein, er ging zu seinen Verwandten, und ich machte nach dem üblichen Bad und reichlicher Brennstoffzufuhr, bei der Nummer eins ein vorzügliches Beafsteak war, einen Rundgang, auf dem ich auch zum ersten Male Ainus zu Gesichte bekam, wenigstens solche von unverwaschenem Äußerem. Es sind die aussterbenden Vertreter jener Rasse, die früher Hondo bewohnte und, allmählich nach Hokkaido zurückgedrängt, bis auf 30.000 zusammengeschmolzen ist. Die Ainus spielen hier die gleiche Rolle wie etwa die Indianer in den Vereinigten Staaten, und machten, jedenfalls soweit ich sie gesehen habe, einen verschüchterten Eindruck. Diese ersten in Obihiro bildeten aber eine Ausnahme, ein Alter mit Wuschelkopf sah nicht nach Angst aus, seine bessere Hälfte mit ihrem aufgemalten blauen Schnurrbart – eine Eigentümlichkeit der Ainus – noch weniger. Für ihren Balg wollten sie ein Rässelchen kaufen, das Ding kostete ein paar Pfennig, aber der Handel dauerte mindestens eine Viertelstunde.

In meiner Verkleidung als Japaner – ich hatte den Kimono angezogen – war ich Gegenstand lebhaften Interesses, aber an diesen Zustand hatte ich mich nun schon gewöhnt. Den Hotelbewohnern habe ich später noch Freude mit meiner Mundharmonika gemacht, die mir auf der ganzen Reise ein treuer Begleiter war und immer rasch die Herzen der jungen Damen gewann.

Für den 18. hatten wir uns viel vorgenommen, aber in Yamuwakka, das gleich eine halbe Stunde hinter Obihiro liegt, verpassten wir den Zug, wodurch uns gleich ein ganzer Tag verloren ging. Esslokale existierten dort natürlich nicht, aber da wir nicht gerade hungern wollten, haben wir uns in einem Hause, das einen einigermaßen vertrauenerweckenden Eindruck machte, ein recht gut mundendes japanisches Gericht kochen lassen und uns die Zeit vertrieben bis zum Abgang des nächsten Zuges nach Ikeda, wo wir den dritten Besuch zu machen hatten.

Ikeda ist ein kleines Nest, in dem es für uns nichts weiter zu sehen gab. Was es mir aber so lieb machte, war der Geruch nach Kühen und anderen notwendigerweise zur Landwirtschaft gehörenden Dingen. Ich wurde so lebhaft an Zeppenfeld[2] erinnert, besonders während unseres Abendspazierganges, den wir bei wohlig-kühlem Wetter zwischen den Gehöften hindurch machten.

Als wir später auf dem Hotelbalkon saßen, kamen – man konnte ordentlich sehen, wie sie sich einen Ruck gaben – zwei junge Burschen auf uns zu und stellten sich vor; sie hatten ein Pferd gehandelt und wollten später wieder zurück nach Südjapan. Mein Japaner hatte an dem Nachmittag wohl noch nicht genug geredet, jedenfalls ließ er auf die beiden eine mit Beispielen, Armen, Beinen und Grimassen so lebhaft illustrierte Rede los, die einen Vergleich zwischen den Fähigkeiten der Japaner und der Deutschen zum Inhalt hatte, dass sie zum Schluss ganz verdröppelt den Kopf hängen ließen. Hier zuzuhören war ein Vergnügen für mich, und ich habe mich höchstlich vergnügt. – Was in Ikeda besonders auffiel, waren die zahlreichen Raben, die überhaupt über ganz Hokkaido verbreitet sind. Die Häuser sind hier in einem mehr an den europäischen anklingenden Stil gebaut, mit vierseitig abfallenden, mit Holzschiefern bedeckten Dächern. Bei der Papiermühle wurden wir am folgenden Morgen sehr gut aufgenommen und waren mit dem Erreichten recht zufrieden.

Unser nächster Haltepunkt war Kushiro. Obwohl die dort liegende Papierfabrik, von Ikeda aus von unserem Kommen benachrichtigt, extra einen Mann zum Bahnhof sandte – das war wirklich allerhand, denn wir kamen als Verkäufer und als Fremde -, konnten wir geschäftlich absolut nichts ausrichten; es war der einzige ganz und gar erfolglose Besuch der Reise.

Wir ließen uns dann zu der Fabrik ein Auto kommen, das uns in einer halben Stunde von Kushiro zu einem Hotel brachte, das, halb europäisch und halb japanisch eingerichtet, ganz hervorragend war. Nach dem unvermeidlichen Bad, in dem wir gehörig mit der Wurzelbürste bearbeitet wurden, (in den japanischen Bädern wird man von einem Boy abgewaschen), schmeckte das Essen, das an und für sich schon ganz vorzüglich war, noch besser. Mein Japaner würzte es sich noch besonders mit Sake (Reiswein), und nachdem ihn der in entsprechende Stimmung gebracht hatte, was sehr rasch geschieht und sich durch Krebsröte bemerkbar macht, beschlossen wir, um den Misserfolg des Nachmittags ganz vergessen zu machen, uns die Unterhaltung mit einigen Geishas zu gestatten. Auf dem Wege zum Schauplatz dieses Vergnügens bot sich uns noch ein interessantes Bild: ein japanischer Bauerntanz. Auf einem freien kleinen Platz war aus Stangen ein Gerüst aufgeführt, auf dem sogenannte Musiker mit Pauken und ähnlichen Instrumenten für den nötigen Radau sorgten. Das Bild der Tanzenden lässt sich nur schwer beschreiben. Sie hatten sich alle verkleidet und sprangen in einem sich langsam drehenden Kreise hin und her, wobei sie mit den Händen klatschten und gelegentlich wilde Töne ausstießen. Das Ganze machte überhaupt einen etwas wilden Eindruck. Jeder konnte teilnehmen, er mischte sich unter die Tanzenden, und wenn er genug hatte, trat er wieder ab.

Das Zusammensein mit den Geishas verlief recht harmlos; wir fuhren gegen ½ 1 mit dem Auto zum Hotel, bis wohin uns die Schönen begleiteten. Das war eine enge Wirtschaft in dem kleinen Auto-Kasten, und die hohe Frisuren haben tüchtig Schaden gelitten.

Der Schlaf in der Nacht war vorzüglich. Es winkte uns auch ein freier Morgen, den ich zunächst damit ausfüllte, etwas zu fotografieren, während mein Begleiter Karten schrieb. Das tat er übrigens, wenn immer er Zeit hatte. Ich glaube, er hat insgesamt über 800 losgelassen.

Gemeinsam unternahmen wir anschließend einen Spaziergang, der landschaftlich aber nicht allzu viel zu bieten hatte. Einen guten Abschluss des Aufenthaltes in dem freundlichen Städtchen bildete das Mittagessen. Die Leutchen hatten wohl zeigen wollen, dass sie nicht nur ein oder zwei, sondern eine ganze Menge verschiedener Gerichte fabrizieren konnten. Den Stapel übereinandergebauter Schüsseln zu bewältigen, war kein Kinderspiel.

Unser nächstes Ziel war nun Karafuto bzw. sein Haupthafen Odomari, und bis dahin hatten wir noch eine lange Fahrt vor uns. In Obihiro machten wir noch einmal in unserem alten Quartier halt, vor allem, um dort zum Waschen gelassenes Unterzeug wieder in Empfang zu nehmen. Zum Weiterfahren benutzten wir den Nachtzug, der zwar kein Express war, aber Schlafwagen hatte. Zum Schlafen blieb jedoch nicht allzu viel Zeit, denn am folgenden Morgen mussten wir schon um 5 Uhr den Zug wechseln nach Asahigawa, wo wir auf die Hauptstrecke Süd-Nord trafen. Der Morgen war sehr neblig, doch musste die Landschaft sehr schön sein; der Wald trat dicht an die Bahnlinie heran, und zuweilen ließen die weißen Nebelschichten einen Blick frei auf reißendes Wasser, das sich seinen Weg durch wilde Steinblöcke und Schluchten suchte.

Karafuto, Bahnhof Tofutsu, 25. 8. 1927

Der vierstündige Aufenthalt in Asahigawa genügte zu einem “Rund-und-quer-durch-die-Stadt”. Vor etwa 20 Jahren war hier Wildnis; heute zählt die Stadt vielleicht 60.000 Einwohner. Sie ist ganz nach amerikanischem Muster angelegt, mit weiten, langen, schnurgeraden Straßen, die den Flecken in gleichmäßige, quadratische Häuserblocks einteilen. Auffällig waren die kleinen, schwindsüchtig aussehenden Kaleschen, “Basha” genannt, die hier die Rolle des Riksha spielen und, je weiter man nach Norden kommt, in immer stärkerem Maße zunehmen. Es war in Asahigawa besonders heiß, nachdem wir uns an den vorhergehenden Tagen über zu große Kühle auch schon nicht zu beklagen gehabt hatten. Man fühlte sich wie in dem Backofen Tokio. Bald nahm aber die Hitze ab, und die dann kommenden Tage im Norden waren recht kühl.

Asahigawa, Hokkaido, Theaterstraße, 21. 8. 1927

In dem Schnellzug, den wir gegen Mittag bestiegen, gab es sogar Speisewagen mit europäischem Essen, das geschmacklich allerdings mäßig war. In der Gegend, die wir durchfuhren, wechselten Flachland sowie welliger und gebirgiger Boden einander ab. Die Eichen und die Fichten verschwanden mehr und mehr, dafür beherrschten Eschen von zum Teil enormer Größe fast allein das Bild. Der Abend bescherte uns noch ein berückend schönes Bild, dem die Sonne Farbe gab: Links aus der Ebene sich einsam erhebend ein dem Fujiyama ähnelnder riesiger Bergkegel, der als violette Masse gegen den hellen Himmel stand; rechts ein Meer brennender Wolken, und vorne die unheimlich schwarzen Silhouetten der hochragenden Eschenbäume. Wie viele herrliche Sonnenuntergänge habe ich nicht schon gesehen, und jeder scheint stets der schönste zu sein.

In Wakkanai, dem nördlichen Ausgangspunkt Hokkaidos, trafen wir erst nach Einbruch der Dunkelheit ein. Vor dem Bahnhof begrüßte uns ein Schwall von schreienden und gestikulierenden Menschen, welche die Ankömmlinge einluden, in ihren “Bashas” oder Taxis zum Pier zu fahren. Mich keilte sofort ein Japaner von hinten an in einem Kauderwelsch, das ich als russisch deutete; als ich keine Anstalten machte, ihn anzuhören, ging er ins Englische über, ich konnte ihn aber nicht verstehen und ließ ihn laufen. Später kaperte er mich aber erneut und stellte sich als Vertreter der Ortspolizei vor, die meinen Pass zu revidieren wünsche. Es war ein kleines Männchen mit rotem Gesicht, Schmerbauch und steifer Haltung, das sich verzweifelte Mühe gab, einen furchterweckenden Eindruck zu machen, indem es gewaltig mit den Augen funkelte und harsch sprach. Es war zu amüsant, zu beobachten, mit welcher Wichtigkeit und mit welchem Selbstbewusstsein er seines Amtes waltete.

Auf dem Dampfer wartete unser eine wenig angenehme Überraschung: Die erste Klasse war vollkommen besetzt, und in dem Schlafraum zweiter Klasse war gerade noch ein Bett frei, das ich dann bezog, während mein Begleiter auf dem Boden kampierte, zwischen schreienden Kindern.

In Odomari liefen wir schon früh am nächsten Morgen, also dem 22., ein. Die See war wie tot, so ruhig, das Wetter trübe und lichtlos. In dem gleich am Wasser gelegenen Hotel machten wir zum ersten Male die Erfahrung, dass man in Karafuto gesalzene Preise kennt. Für ein wenig Essen und einen nur mehrstündigen Aufenthalt hatten wir horrendes Geld zu bezahlen. Hier hatte auch das bis dahin gute Wetter ein Ende, und es fing an, erbärmlich zu regnen. Dabei war es sehr kühl.

Der Fabrikbesuch nahm nicht allzu lange Zeit in Anspruch, aber genug, uns unseren Zug versäumen zu lassen. Dadurch ging es erst am Nachmittag weiter mit dem Ziel Toyohara, der Hauptstadt Karafutos. Der erste Eindruck, den wir von Karafuto auf der Fahrt nach Toyohara hatten, war ein geradezu bedrückender. Der Zug fuhr zunächst hart am Wasser entlang, das schwarz und öde dalag; an der anderen Seite ärmliche Birken und Zedern, die flachen Hügel teils abgerodet, die Hütten arm und klein. Und auf den kleinen Bahnhöfen bekümmert dreinschauende Russen, die weiße Semmeln verkauften. Man konnte diese Menschen mit den traurigen Gesichtern, die an mir vorbeisahen, als ob sie sich schämten, nichts Böses zutrauen.

Bald änderte sich das Bild, die Berge wurden höher, der Wald schöner und frischer, die Gegend bewohnter, die Häuser freundlicher, und der Regen hörte auf. Karafuto war mit einem Male schön. Toyohara zeichnete sich vor den anderen Städtchen durch seinen hübschen neuen Bahnhof aus; die Stadt selbst sah aus, als sei sie rasch hingesetzt und noch nicht ganz fertig, machte im ganzen aber einen freundlichen Eindruck. Im Hotel begrüßte mich gleich deutsche “Musik”. Die beiden Töchter des Hauses saßen, übrigens solange wir dort waren, vor dem Klavier und dem Harmonium und spielten, einfingrig natürlich, damals gerade “Vöglein im hohen Baum”. Die Bevölkerung dort oben schien überhaupt sehr musikliebend zu sein; überall hörte man Klaviere, Harmoniums, Mandolinen, Harmonikas u.s.w. In Toyohara war es auch, dass ich das einzige Mal japanische Musik hörte, die mit etwas Recht beanspruchen konnte, Musik genannt zu werden. Die Instrumente waren eine Pauke, eine Trommel, ein “Shamtsen” (japanisches Saiteninstrument) und eine Art Harfe, und ich war überrascht von der Harmonie der Töne und Melodien, welche die Spieler darauf hervorbrachten.

Am Morgen des 23. fuhren wir, nachdem wir bei der im Ort gelegenen Papiermühle sehr rasch fertig geworden waren, nach Ochitai, dem Endpunkt der östlichen Eisenbahnlinie, und am Spätnachmittag wieder zurück nach Toyohara, das an dem Tage ein großes Tempelfest feierte und mit den Abertausenden von großen Papierlaternen, welche die Straßen flankierten, reizend aussah.

Der 24. bescherte uns ein Abenteuer: eine Autofahrt quer durch Karafuto, von Osten nach Westen (eine Eisenbahnlinie ist im Bau). Es war uns vorher schon gesagt worden, dass die Fahrt nur bei gutem Wetter stattfinden werde, weil die abschüssigen, vielkurvigen und schlechten Wege bei Regen sofort grundlos seien. Das Wetter war nun zwar nicht schön, aber doch trocken, und so fuhren wir sorglos morgens gegen 9 Uhr los, in einem schönen Sechssitzer, der gewöhnlich sieben Passagiere aufnimmt, diesmal aber nur vier zusammenkriegte, von denen einer ein hoher Regierungsbeamter war. Auf der Höhe des ersten Bergzuges gerieten wir schon in feinen Regen, die Wege waren aber noch trocken, so dass das “Bergab” noch in flotter Fahrt genommen werden konnte. Dann setzte jedoch Regen ein, starker Regen, und als es von dem zweiten Kamm hinunterging, da wurde uns doch etwas bänglich zumute, und wir hatten für etwa eine halbe Stunde das Vergnügen, uns vorzustellen, wie es sich wohl machen würde, wenn wir über den Rand dieses oder jenes steilen Abhanges in die Tiefe purzelten. Dabei rutschte der Wagen schauderhaft von einem Loch in das andere, wie auf einer Eisfläche. An einer Stelle begegneten wir einem anderen Auto, und als wir uns glücklich aneinander vorbeigeschlängelt hatten, kam jenes auf den Einfall, nach hinten auszurutschen, und wollte in die Schlucht hinunter, als ob sich das so gehörte. War das eine Aufregung! Mein Begleiter und ich haben ein ganzes Pfund Pralinen verfuttert, um uns Kraft zu machen. Dabei war mir schon vorher nicht besonders wohl, denn ich hatte mir am Morgen eine ganze Konservendose eingemachter Erdbeeren einverleibt, weil ich es nicht übers Herz bringen konnte, die Büchse halbvoll zurückzulassen. Indessen, alles ging gut, und als wir die Kraftprobe dieser halsbrecherischen Bergabfahrt bestanden hatten, durften wir uns in einer Hütte während eines kurzen Aufenthaltes mit Kaffee stärken. Dann folgte die zweite, ebenso tolle Hälfte. Wir setzten jetzt aber schon Vertrauen in unseren Führer, der sein Auto auch tatsächlich mit einer ganz fabelhaften Geschicklichkeit meisterte und uns endlich auch heil am Ziel absetzte.

Maoka, der Endpunkt der Fahrt, machte mit seinem Dreck, durch den man waten musste, keinen sehr einladenden Eindruck, doch waren wir dann in dem sehr guten Hotel vorzüglich aufgehoben. Leider hatten wir nur keine Zeit, uns von der Strapaze der vierstündigen Fahrt zu erholen; es ging gleich weiter zu der Stätte der Arbeit, der Papiermühle. Der Besuch hier war der interessanteste der ganzen Reise. Die Fabrik war mustergültig und großartig eingerichtet. Außerdem hatten wir einen schönen Erfolg zu verzeichnen, so dass wir recht frohen Herzens in unser Quartier zurückkehren konnten.

Dort hieß es nun, sich über die fernere Einteilung der Reise klar zu werden. Weiter nördlich lagen noch zwei große Mühlen, aber sie waren nur mit dem Schiff zu erreichen, und das hätte erstens sehr viel Zeit gekostet und uns außerdem mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit üble Stunden eingebracht, denn die See war wild. Vor allem mit der Zeit mussten wir rechnen, denn zwei Tage hatten wir schon eingebüßt, und so entschlossen wir uns denn, wieder südwärts auf Tokio loszusteuern, wenn wir am nächsten Tage den Besuch bei der Mühle in Noda, dem Endpunkt der westlichen Bahnstrecke, hinter uns hatten.

Unsere Absicht war gewesen, von hier aus mit dem Dampfer direkt nach Otaru in Südhokkaido zu fahren, aber es ging kein passender, und so mussten wir von Honto aus den Weg über Wakkanai nehmen. Nach Honto brachte uns von Noda aus die Bahn, die immer hart am Meer entlang fuhr und den Windungen der hier sehr steilen Küste folgte. Anscheinend hatte man beim Bau der Bahn die Kosten für Tunnels sparen wollen. Da wir zur linken Hand immer steile Bergwände hatten, war landschaftlich nicht viel zu besichtigen. Es blieb nur die See, die hin und wieder von Fischerbooten belebt war. Unter den am Strand arbeitenden Fischern gab es interessante Figuren, interessant durch ihre Kleidung und Bärte. Besonders fiel mir ein alter Ainu auf, der in ehrwürdiger Haltung neben dem Schienenstrang stand und mit seinem wallenden, weißen Bart und langen weißen Haaren Moses aus dem alten Bunde hätte sein können. In Honto liefen uns noch einige besonders große Exemplare der Wolfshunde über den Weg, die man überall in Karafuto antrifft, Riesentiere, meist pechschwarz, mit dem Körper eines Wolfes und dem klugen, spitzen Kopf eines Fuchses.

Der Dampfer, der uns nach Wakkanai bringen sollte, war ein beängstigend kleiner Kasten von noch nicht 900 Tonnen. Das Schaukeln konnte er zwar nicht sein lassen, doch gab er sich redliche Mühe, uns nicht allzu sehr im Schlafe zu stören, der dann auch recht gut war.

Als ich am nächsten Morgen – wir schrieben den 26. – durch die Luke schaute, sah ich vor mir wieder den Kegelberg, denn ich schon in Verbindung mit dem Sonnenuntergangsbilde erwähnt habe, diesmal aber von der aufgehenden Sonne rötlich angehaucht. Und welch unbeschreiblich schöner Anblick bot sich mir dann dar, als ich hinauf auf das Deck ging: zum ersten Mal ein Sonnenaufgang am Meer. Um mich noch leichte Dämmerung und über mir der Himmel zu drei Vierteln mit gelbroten Flammen bedeckt, die wohl eine halbe Stunde brannten und dann langsam, langsam verblassten, während sich der Kamm der am östlichen Horizont stehenden Wolkenwand mit einem immer breiter und länger werdenden weiß-goldenen Streifen überzog. Aber ehe die Sonne selbst aus dem Meere stieg, zogen sich die Wolken rasch und plötzlich zusammen, und unter grauem und trübem Himmel liefen wir in Wakkanai ein. Es war kurz nach 5 Uhr. Bis zum Abgang des Schnellzuges blieben uns noch über vier Stunden, also Zeit genug zu dem unvermeidlichen Bad.

Der Schnellzug behielt den ganzen Tag über ein sehr mäßiges Tempo bei, allerdings war die Strecke sehr kurvig, immer an einem Fluss entlang führend. Bis Takikawa war uns die Gegend schon bekannt. Von da an begaben wir uns auf noch unbekannten Boden, von dem wir zunächst allerdings, weil es schon dunkel war, nichts sahen. Je weiter wir nach Süden kamen, desto wärmer wurde es, und bei Ankunft in Sapporo am späten Abend empfanden wir die Luft schon wieder als recht warm. Auf dem Bahnhof von Sapporo, der Hauptstadt Hokkaidos, herrschte reges Leben, zum ersten Male wieder städtischer Betrieb. Der erste Eindruck war ein sehr guter. Vom Bahnhof aus führte ins Innere der Stadt eine weite, breite, mit hohen alten Bäumen bepflanzte Allee, etwas sehr Schönes in Japan, wo an Stelle unserer Bäume in der Regel die doppelte oder dreifache Anzahl Telegrafenmasten usw. stehen.

Im Yamagataya Hotel, dem größten und besten Sapporos, bekam ich ein europäisches Zimmer zugewiesen und konnte auch wieder in einer richtigen Wanne baden. Das Moskitonetz verstand sich noch von selber; nach den Viechern brauchte ich nicht lange zu suchen, sie hatten mir in den ersten fünf Minuten schon die Fußgelenke zerbissen (japanische Moskitos interessieren sich fast nur für Fuß- und Handgelenke). In allgemeinen hatten die Hotels in den kleinen Landstädtchen einen besseren Eindruck gemacht als dieses große Haus, aber eins hatte es voraus: ein großartiges Bett, in dem es sich brillant schlafen ließ, so brillant, dass man am nächsten Morgen die Zeit verschlief. Da hieß es aber, zum Bahnhof mit der Elektrischen um die Wette jagen, doch es glückte, und ¾ Stunden später konnten wir uns in Ebetsu schon bei der dortigen großen Papiermühle anmelden. Der Besuch verlief nach Wunsch, und damit war unser Arbeitsprogramm durchgearbeitet.

Wir konnten nun darüber nachdenken, wie sich die weitere Heimreise so hübsch und interessant wie möglich gestalten ließ. Das Programm war bald gemacht, seine Hauptnummer war die Besichtigung des Onuma-Parkes dicht bei Hakodate, der wir den ganzen folgenden Tag – es war Sonntag – widmen wollten. Zunächst mussten wir aber Sapporo näher kennen lernen, und weil es wieder regnete, ließen wir uns im Auto herumfahren. Die Stadt hat schöne weite Straßen, einen hübschen großen Park und sonstige sehr gut gepflegte Waldanlagen mit prächtigen Bäumen. Einen besonders guten Eindruck machten die Universitätsanlagen mit ihren zahlreichen netten Bauten und wundervollen Rasenflächen.

Onuma Park, Hokkaido, 28. 8. 1927

Zur Weiterfahrt benutzten wir den Nachtschnellzug, und der 28. August sah uns dann in Onuma, wo wir früh gegen 7 Uhr eintrafen – im Regen, im Nebel, welch ein Jammer. Aber der Himmel meinte es gut mit uns. Nachdem wir uns etwa zwei Stunden lang, ohne selbst recht daran zu glauben, vorgeredet hatten, dass es “eigentlich doch schon ein wenig heller geworden” sei, stieg gegen 9 Uhr der Nebel plötzlich, und der Regen hörte auf. Und wenn die Gipfel der umliegenden Berge sich auch noch in den Wolken versteckten, so konnten wir von unserem hoch gelegenen Hotel aus den wunderschönen See, der von 128 Inselchen verschiedener Größe durchsetzt und von der Bahnlinie in zwei Hälften geteilt wird, überblicken. Selbst die Sonne kam zuweilen ein wenig hervor, und nun hieß es, die Zeit ausnutzen: Rasch hinunter ans Wasser, hinein in ein Bötchen und hinaus auf den See. Jeder hatte ein Ruder in die Hand genommen, aber wir konnten unsere Kräfte nicht recht ins Gleichgewicht bringen, jeder hatte den Ehrgeiz, es am besten zu können, und so ging es – zu unserem eigenen größten Vergnügen – in stetem Zickzack hin und her. Wir haben manchen Felsen, und mancher Felsen hat uns in Gefahr gebracht, wir waren oft nahe daran, umzukippen, besonders, als der durchaus nicht harmlose See sich plötzlich “in Falten warf” und das Boot auf den heimtückischen kurzen Wellen an allen Seiten auf einmal schaukelte. Ohne zwingende Gründe geht man in vollem Wichs aber nicht ins Wasser, und nachdem ich die Ruderei allein in die Hände genommen hatte, klappte es ganz gut. Nach einer guten Stunde mussten wir aber rasch umkehren, denn der Regen setzte erneut ein und hörte dann auch nicht wieder auf. Aber sollten wir darum die zweite Hälfte des Sees – bisher kannten wir nur die östliche – ungesehen hinter uns lassen? Das ging doch nicht, und so machte ich mich denn bald nach dem Mittagessen wieder auf den Weg. Mein Japaner zog ein Mittagsschläfchen sämtlichen Landschaften vor. Er hatte rohen Fisch verzehrt, der ihm so gut gemundet hatte wie nie ein Fisch zuvor, und der nun in Ruhe noch etwas schwimmen sollte.

Wenn mir der Regen nun auch die Hosenbügelfalten gründlich verwüstete, so tat es mir nicht weiter leid darum, das Geschaute entschädigte für alles. Die Natur atmete tiefe Ruhe aus, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Nur ein paar eingezäunte Hirsche lugten aufmerksam zu mir herüber, von irgendwoher tönte das Gackern eines Huhnes, hin und wieder flatterten wilde Enten auf, und ein paar stolze Schwäne ruderten majestätisch und langsam durch das Wasser. Eine alte Steinlaterne ragte wie das Wahrzeichen eines versunkenen Tempels einsam aus dem Wasser.

Am Nachmittag setzten wir unsere Reise nach Hakodate fort, wo wir gegen vier Uhr eintrafen. Ich hatte zwar keine Eile, mir die Stadt anzusehen, weil ich erst am nächsten Abend weiterzureisen gedachte, aber mein Begleiter beabsichtigte, schon am Morgen zu fahren – wir wollten uns hier also trennen – und wollte vorher wenigstens etwas von der Stadt sehen. Das einzig mögliche Verkehrsmittel war ein Auto, denn in den Schlamm der Straßen konnte man sich per pedes gar nicht hineinwagen. Hakodate hat seinen Charakter für sich, obwohl ihm eigentlich das Typische fehlt. Die Straßen sind gewunden, das europäische Haus herrscht bei weitem vor, das Zentrum mit seinen hübschen und modernen Bauten erinnert eigentlich in nichts an Japan. Ein Teil der Stadt kriecht den Gebirgszug hinauf, an den sich Hakodate anlehnt, und sieht von weitem aus wie eine schmucke Villenkolonie.
Anschließend an die kurze Rundfahrt brachte uns das Auto zu der etliche Kilometer entfernt liegenden Schwefelquelle Yunotaki, wo wir die Nacht zubringen wollten. Dass sich ein solches Drecksnest “Bad” nennt, ist an sich ein Skandal, wir hatten Besseres erwartet. Das Hotel, das uns dort empfohlen worden war, zeichnete sich auch höchstens dadurch aus, dass recht viele Gäste hineingingen; mit der Sauberkeit war es nicht weit her. Wir kamen aber über die kleine Enttäuschung bald hinweg, um uns war Abwechslung. In unserem Nachbarzimmer war eine zwölfköpfige Familie damit beschäftigt, sich abzutrocknen, die Haare zu kämmen, die Kimonos anzulegen usw., was ohne großen Radau anscheinend nicht möglich war, und vor dem Hotel tummelte sich in einem öffentlichen großen Badebassin die Jugend. Zu dem Hotel gehörten zwei große Schwimmhallen, die durch eine niedrige Wand voneinander getrennt waren, eins für männliche und das andere für weibliche Besucher. Ich konnte mich anfangs aber nicht recht dazu entschließen, mich unter die planschende Gesellschaft zu mischen. Erst als sich der Schwarm verzogen hatten, habe ich mich für einen Augenblick in die kochende Schwefelbrühe hineingewagt.

Wie nun den Abend verbringen? Da überraschte uns die Zimmermagd mit der interessanten Mitteilung, dass es am Orte eine deutsche Geisha gebe. Die mussten wir natürlich kennen lernen. Darüber waren wir uns sofort einig. Sie sollte jung, schön und reizend sein, aber mit Sehersinn war sie wohl nicht begabt, jedenfalls hatte sie mit unserem Erscheinen nicht gerechnet und sich von einer anderen Gruppe in Beschlag nehmen lassen, so dass wir auf das Vergnügen ihrer Gesellschaft verzichten mussten. Aber Geishas hatten wir uns nun mal in den Kopf gesetzt, und da es keine Deutsche war, wurden es eben Japanerinnen. Zur Probe beorderte mein Japaner zunächst zwei, gleich hinterher eine Dritte. Es gibt in Japan keine Regel, die den Geishas vorschreibt, hübsch zu sein. Da sind auch viele, die mit äußerlichen Reizen nur mangelhaft ausgestattet sind, und zu dieser Sorte gehörten unsere Drei. Die eine war kurz und dick, die zweite zählte mindestens 30 Lenze und hatte, wenn sie mit 20 mal eine normale Figur besessen hatte, meiner Schätzung nach je Jahr mindestens drei Pfund an Gewicht verloren. Über die dritte endlich ließ sich sagen, dass sie bei unscheinbarer Figur reichlich frech war und ein stark vergoldetes Gebiss hatte. Mein Japaner wollte nun aber, dass ich mich an dem Abschiedsabend recht gut unterhalten sollte und ließ darum eine weitere Geisha herrufen. Doch dieses vierte Mädchen änderte die Lage nicht wesentlich, sie war zwar jung, erst 17 Jahre alt – in meinen Augen ein Plus -, aber von so ängstlichem Gemüt, dass von ihr keine Unterhaltung zu erwarten war. Trotzdem kam die Geschichte rasch in Fluss. Mein Begleiter störte sich an den beschriebenen Äußerlichkeiten wenig. Die Mädchen sangen und bearbeiteten ihre Instrumente, der Japaner trug krächzend japanische Lieder vor und ahmte Schauspieler nach. Ich selbst gab mit fürchterlicher Stimme “Auf in den Kampf Torero” zum besten. Um 10 Uhr Feierabend, abermaliges Bad und anschließend Schlafengehen.

Meinen Begleiter fand ich am nächsten Morgen schon reisefertig vor. Er bezahlte gerade die Rechnung, eine Rechnung, die zu einem Krösus besser gepasst hätte als zu uns. Dann ging’s in Windeseile fort, er musste in einer halben Stunde nach Hakodate zurück, vom Bahnhof das Gepäck abholen und zum Landungsplatz in den Dampfer, hat es aber noch geschafft. Ich hatte reichlich Zeit und nahm nochmals ein Bad. Gegen 11 Uhr verließ ich das gastliche Haus in Richtung Hakodate. Dort suchte ich zunächst mal einen Barbier auf, um mir den Bart abnehmen zu lassen. Diese Prozedur wird mir noch einige Jahre in Erinnerung bleiben, denn sie dauerte nicht weniger als 40 Minuten. Aber wie wurde es auch gemacht! Ich konnte mir nicht vorstellen, in meinen bartlosen Zeiten so weich gewesen zu sein und habe mir bis zum Abend immer wieder mit Wohlgefallen das Kinn gerieben. Das anschließende Kopfwaschen hat mir allerdings den Entschluss eingetragen, dieses Geschäft in Zukunft selber zu besorgen. Ich glaubte, ich sollte meiner sämtlichen Haare beraubt werden, und als mir dann noch kochendes Wasser über den Schädel gegossen wurde, da fehlten noch zwei Sekunden, und ich wäre ohnmächtig geworden.

Der Aufenthalt in Hakodate zeichnete sich noch durch ein anderes Erlebnis aus: Es gab hier zum ersten Male wirklich schmackhafte Butter. Man sollte meinen, dass man in dem sogenannten Butterland Hokkaido in guter Butter schwimmen müsste; dem ist aber nicht so. Das Zeug, das wir da vorgesetzt bekamen, hatte verzweifelte Ähnlichkeit mit unserer Wagenschmiere aus der Kriegszeit.

Mein Dampfer nach Aomori ging erst um 5 Uhr, aber nachdem ich bis ½4 Uhr durch die Straßen gebummelt war, hielt ich es für richtig, mich irgendwo auszuruhen, sonst hätte ich mich vielleicht gegen meinen Willen irgendwo in den Dreck gesetzt, ich war erbärmlich müde. Bei dieser Müdigkeit hätte nun eine ruhige Fahrt gut getan, aber das Meer nimmt keine Rücksicht auf die Wünsche des Einzelnen; die bald nach der Ausfahrt einsetzende Schaukelei rief mir nochmals lebhaft die Schrecken meiner Helgolandfahrt von vor zwei Jahren ins Gedächtnis zurück. Ich hatte mich auf den Boden gelegt und fühlte nun abwechselnd meinen Kopf und die Beine sich heben, je nach welcher Seite der Kahn sich legte. Geschlafen habe ich aber doch, so müde war ich. Erst als wir in Aomori einliefen, wachte ich auf, es war 1/2 11 Uhr; um 1/2 12 Uhr ging mein Zug. Das besondere Erlebnis, das sich an diesen Aufenthalt knüpfte, bestand in einem Beafsteak, einem so fabelhaft wohlschmeckenden Beafsteak, wie ich es nie zuvor gegessen hatte und es besser auch kaum hergerichtet werden kann.

Im Zuge störte mich anfangs ein Kind, bei dem die auf dem Dampfer eingefangene Magenkrankheit wohl hier erst zum Ausbruch kam, und das den Vorhof zu meinem Bett unnötig verunzierte. An vernünftigen Schlaf war aber auch später nicht zu denken, das Gerüttel des alten und schlechten Wagens ließ gar keinen aufkommen, so dass ich ziemlich gerädert in Matsushima ankam. Hier goss es in Strömen. Aber wenn es auch noch so feste gießt, so steht es einem immer frei, zu hoffen, dass es aufhört. Dies tat ich, und mit Erfolg, die Sonne kam bald heraus.

Matsushima, Inseltor, 30. 8. 1927

Mein Hotel, ein schönes, großes, europäisches Gebäude, das sehr sauber, zur Zeit aber nur mit zwei Gästen belegt war, lag etwas erhöht, so dass man einen guten Blick über die herrliche, von vielen hundert Inseln und Inselchen durchsetzte Bucht hatte. Matsushima gilt als der schönste unter den drei landschaftlich schönsten Punkten Japans und hat seinen Namen (etwa “Pinieninseln”) von den Matsus, d.h. pinienartigen Bäumen, die die Inseln bedecken und das ganze Landschaftsbild beherrschen.

Für einen Matsushima-Besucher gehört es sich, dass er mit einem Boot die Bucht durchfährt, und dies gedachte auch ich zu tun, und zwar so rasch wie möglich, weil mir das Wetter nicht geheuer schien. Leider war niemand vorhanden, mit dem ich das Boot hätte teilen können, so dass ich die ziemlich teure Rente allein zu tragen hatte. Hätte ich gewusst, welch weiteren Verlauf die Fahrt genommen hat, würde ich sie wohl kaum angetreten haben; so aber stach ich vergnügt in dem kleinen, schmalen Motorbötchen in See, das der Führer geschickt zwischen den vielen Inseln, Felsen und seichten Stellen hindurchsteuerte.

Viele Inseln ragen in sich zerklüftet und zerrissen aus dem Wasser hervor, und ihr grotesker Eindruck wird noch durch die kurzen und krüppelartigen Pinien, die darauf wachsen, erhöht. Viele hat das Spiel der Wellen im Laufe der Zeiten unterhöhlt, so dass sie wie Torbogen aussehen. Überall erkennt man die Arbeit des Wassers, das Jahr um Jahr die Inseln von allen Seiten benagt. Die Natur scheint unzufrieden mit ihrem eigenen, so wunderschönen Werk. Einige der etwas größeren Inseln sind bewohnt, und ich sah die sonnenverbrannten und halbnackten Fischer in den Höhlen an ihren Fanggeräten herumhantieren.

An der nach dem Meer offenen Stelle der Bucht packte uns kräftiger Wind von der Seite und warf das Boot hin und her. Aber im ganzen waren die ersten zwei Stunden der Fahrt, deren es bedurfte, um die höchste Insel zu erreichen, doch recht schön. Dort angekommen, wurde ich ausgesetzt und von einem ‘”Führer” auf den Gipfel des etwa 100 m hohen Inselberges geführt, von dem aus man einen unendlich weiten und herrlichen Blick über die ganze Bucht hatte. Dieser Rundblick ließ mich aber sofort Böses ahnen, denn von rückwärts türmten sich schwarze Wolkenmassen heran, und das offene Meer war schaumbedeckt. Und richtig, kaum hatte ich den Rückweg angetreten, setzte das Unwetter ein, mit Regen und Sturm. Aber zurück mussten wir ja doch einmal, und da unten das Wasser auch ziemlich ruhig aussah, machten wir uns auf den Heimweg. Gegen den Regen konnten wir uns notdürftig mit Segeltüchern schützen, zuweilen zischte uns aber doch ein Guss ins Gesicht, dass man nur so “brrr” sagte. Schlimmer wurde es aber, als wir aus dem Schutz der großen Inseln heraus waren. Das kleine Boot tanzte entsetzlich auf den Wellen hin und her, so dass ich mich mit Armen und Beinen festhalten musste, um nicht herauszukippen. Mein Führer war auch in Verlegenheit: Er konnte die Fahrrinne in den seichten Gebieten wegen des schäumenden Wassers nicht mehr erkennen, und es war unheimlich,
wie er immer wieder abstoppte und sich an Hand von Karten zu orientieren suchte. Hier ist es wirklich das erste und einzige Mal in Japan gewesen, dass ich dachte: Säßest du doch jetzt daheim im gemütlichen Sofa! Aber wie fast alle Unwetter aufhören, sobald man in Sicherheit ist, so legte sich auch hier der Sturm, nachdem wir kaum wieder festen Boden unter den Füßen hatten, und der Regen ging in langsames Geriesel über, das bis zum Spätnachmittag andauerte.

Inzwischen hatte ich Muße, zum ersten Male wieder eine Zeitung zu lesen, die allerdings auch schon einige Tage alt war. Sogar auf dem Klavier habe ich mich versucht, u. a. die “Loreley” mit gemeinsamem Gesang; denn die “Norerey” (“l” können die Japaner nicht aussprechen) kennt in Japan jedes Kind, d. h. die Melodie. Kurz vor Sonnenuntergang gaben die Wolken den Himmel teilweise frei, und die scheidende Sonne hatte noch Zeit genug, das Wasser, die Inseln, Häuser, Bäume, Schiffe und langsam über die spiegelglatte Wasserfläche streichenden Segelboote mit einer unbeschreiblichen Fülle von Farben zu übergießen. Da war Matsushima wirklich paradiesisch schön.

Am Morgen des 30. August wollte ich eigentlich schon früh weiterfahren, aber als ich das herrliche Wetter sah, konnte ich es nicht übers Herz bringen, das schöne Fleckchen Erde so rasch zu verlassen. Ich wäre gerne noch einen Tag länger geblieben, aber weder die Zeit noch das Geld erlaubten dies. Das Hotel gab sich mit niedrigen Preisen erst gar nicht ab, sondern fing gleich bei den hohen an. Also Lebewohl um ½10 Uhr. Die “Empfangsdame” riss aus und brachte mich in der privaten Eigenschaft eines lieben kleinen Mädchens bis zum Bahnhof der elektrischen Schnellbahn, die nach Sendai führt.

Mein Aufenthalt in Sendai war nur kurz. Während einer raschen Auto-kreuz-und-quer-Fahrt konnte ich aber doch einen Blick in die verschiedenen Teile der Stadt tun, die ja auch, an die übrigen japanischen Großstädte (Sendai zählt etwa 140.000 Einwohner) anklingend, nicht allzu viel Neues zu zeigen vermag. Die Universitätsanlagen machten einen ziemlich dürftigen Eindruck. Schön war dagegen eine alte Tempelanlage, die mich durch ihre reichen Zypressenanlagen und auch die teilweise prächtigen Holzschnitzereien lebhaft an Nikko erinnerte.

Straße in Sendai, 31. 8. 1927

Um ½2 Uhr brach ich dann zu dem letzten Haltepunkt meiner Reise, Fukushima, auf. Die Fahrt ging anfangs durch eine fruchtbare Ebene, in der Japans bester Reis wächst, dann kletterte der Zug allmählich bis auf eine beträchtliche Höhe empor, um auf der anderen Seite in rasender Fahrt bergab zu eilen. Der Rundblick war weit, weit, ähnlich dem, den wir in Hokkaido von dem höchsten Punkt der japanischen Bahnen hatten. Ich habe nirgendwo in Japan so freundliche und sauber aussehende Dörfchen gesehen wie an dieser Strecke. Die Häuschen waren alle strohbedeckt und meist zwischen Bäumen versteckt.

Fukushima, zeichnende Schulmädchen, 31. 8. 1927

Um 4 Uhr traf ich in Fukushima ein und stieg in dem Hotel gleichen Namens ab. In japanischen Hotels habe ich mich unbewusst immer etwas lieber aufgehalten, weil man sich mehr als Herr vorkommt, wenn die ganze Belegschaft des Hotels in die Knie sinkt und unter tiefen Bücklingen “irrashai” (willkommen) ruft, wenn man ankommt oder auch von einem Ausgang zurückkehrt. Es fuchste mich direkt etwas, als der Verwalter des Matsushima-Hotels, ein griesgrämiger alter Kater, mir in einer Weise ent-gegenkam, als wolle er sagen, ich solle es ja als Gnade ansehen, dass er mich überhaupt beherbergte.

In dem Fukushima-Hotel also fühlte ich mich recht wohl, besonders noch, weil ich das hübscheste Zimmer erhielt, das an zwei Seiten an den niedlichen, echt japanischen Hotelgarten anstieß. Bevor es dunkel wurde, machte ich noch einen Rundgang durch das hübsche Städtchen, das zwar keine besonderen Sehenswürdigkeiten aufzuweisen, aber, rings von hohen Bergen umgeben, eine reizende Lage hat. Der Abend war so recht ein Abend zum Träumen. Ich saß am Rande meines nach den Gartenseiten zu ganz offenen Zimmers, Grillen zirpten, und hin und wieder sprang ein Fisch aus dem Wasser des kleinen Teiches und brachte die sich darin widerspiegelnden Lichtreflexe in zitternde Bewegung. Zum letzten Male ließ ich meine Hauskapelle, meine getreue Mundharmonika, antreten und die frohen Weisen summen, die wir daheim an schönen Sonntagen auf unseren gemeinsamen Abendspaziergängen so oft gesungen haben.

Der Morgen des nächsten Tages brachte den Schlusstakt der Reise mit einem Aufstieg auf einen der umliegenden Berge, von dem aus man einen hübschen Blick über das Tal und die Stadt hatte. Dann ging es um 10 Uhr im Schnellzug heimwärts. Der Zug kam vom hohen Norden und war vollgepackt, ich zählte allein 13 Ausländer. Ich bekam aber doch noch einen Platz am Fenster und konnte so blaue Berge, grüne Felder, die hohen Pinien und die sauberen Häuser an mir vorbeigleiten sehen, alles prangend im hellen Sonnenschein, der mir so wenig gelacht hatte, als er mir so willkommen gewesen wäre.
Um 4 Uhr lief der Zug auf dem Ueno-Bahnhof in Tokio ein, und um 5 Uhr war ich wieder daheim in meinen vier Wänden.

Damit war ich auch wieder im alten Betrieb. Hinter mir lag das Schöne, Interessante, Abwechslungsreiche wie ein langer Traum, an dessen Einzelheiten man sich, weil er schön war, noch auf Zeiten hinaus erinnert.

 

[1] Sendai wurde im März 2011 durch einen Tsunami und die Havarie des benachbarten AKW Fukushima schwer getroffen.
[2] Aus Zeppenfeld bei Siegen stammten die väterlichen Vorfahren des Autors.

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