Interview Teil 9 – Thwaites, Raumzeit, Dokumentarfilm

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Interview des vm2000.net mit Jörg Boström

Du kanntest den Kunstkritiker John Anthony Thwaites?

Ja, ich hatte mit meiner Frau Eva Fotografie viel gemacht, und wir haben auch gelegentlich ausgestellt. Und John Anthony Thwaites war als Kritiker bei solchen Ausstellungen immer gerne dabei, und dadurch hat sich der Kontakt entwickelt, und wir haben ihn auch besucht, und er hat uns auch besucht, so dass wir auch gesprächsweise zusammen waren. Dadurch sind wir so ein bisschen aneineinandergerückt. Er hat meine Fotos ja auch dann auf dem Tisch im Atelier gesehen, und wir haben uns gelegentlich getroffen. Er war so einer unserer sagen wir mal beruflichen Kontakte. Und er war ein sehr verständlicher und freundlicher und kommunikativer Mann.

Er war anscheinend der modernen Kunst wohlgesonnen, obwohl er ein Buch geschrieben hatte “Ich hasse die moderne Kunst”, aber der Titel war wohl nicht ganz so wörtlich gemeint.

Woher weißt Du das, dass er das Buch geschrieben hat?

Weil ich es im Internet  bestellt und gelesen habe.

Er war ja als Kritiker unterwegs. Und lebte ja eigentlich davon, dass er als Journalist in Büchern und Zeitschriften veröffentlichte, und selber auch ein Buch gemacht hatte. Insofern ist sein Satz ein bisschen ironisch gemeint, natürlich hasste er sie nicht, sondern er lief dahinter her. Das war ja sein Beruf.

Und mir scheint dass er auch jungen Künstlern gegenüber aufgeschlossen war?

Ja, das war er wirklich. Und wir waren ja damals junge Künstler. Und er war auch einer der wenigen, die sich auch für Fotografie interessierten. Wir machten ja gerne Ausstellungen mit Fotografie.

Ihr machtet damals Fotografie und teilweise auch informelle Bilder?

Ja ich hatte damals auch eine informelle Malerei drauf. Die habe ich aber später wieder aufgegeben, und lieber realistisch gemalt.

War die Kunstkritik in der damaligen Zeit wichtiger als heute, könnte man das behaupten?

Nein, das würde ich nicht behaupten. Es ist für Künstler immer ein bisschen nicht ganz unwichtig, in der Öffentlickeit auch beachtet zu werden. es ist immer schlecht, wenn man ausstellt und wird nicht gesehen, oder es kommen nur die Freunde und Verwandten, und die Presse kümmert sich nicht darum. Das hat man schon ganz gerne, wenn man auch in der Zeitung auftaucht. Und Thwaites war auch in vielen Zeitungen tätig, und das hat uns auch geholfen. Das hat mich ja nachher im Verlauf meiner fotografischen Arbeit so bekannt gemacht, dass mich die Bielefelder besucht haben, in einer Ausstellung. Und einer von den Studenten damals, der Horst Ahlheit, hat mich dann auch mal nach Bielefeld gefahren. Da bin ich geblieben, wie Du weißt.

Ja. Ich wusste garnicht, dass Horst Ahlheit das zu verantworten hat.

Naja, zu verantworten ist vielleicht übertrieben, aber er war so der Kontaktmensch. Er war an meiner Arbeit interessiert, und war auch als Autofahrer beweglich, und er hat mich nach Bielefeld gebracht, sozusagen. Heute finde ich ihn leider garnicht mehr wieder, auch nicht im Internet. Ich benutze ja Facebook auch als Kommunikationsmittel. Da finde ich einige Freunde, aber viele nicht, die sich mit Facebook garnicht beschäftigen.
Horst Ahlheit ist sozusagen einer meiner ersten Kontakte, und Manfred Schnell, mit dem ich immer noch befreundet bin, wir treffen uns häufiger.

Thwaites soll in seinen Kritiken gelegentlich eine Theorie des sich ausdehnenden Universums in Verbindung zur Kunst gebracht haben. Weißt Du darüber irgendetwas?

Nein, damit habe ich mich nicht beschäftigt.

D.h. er hat auch nicht versucht, Dir das sich ausdehnende Universum nahezubringen?

Kann ich mich nicht dran erinnern. Hast Du das gefunden, bei seinen Texten?

Das habe ich in einem Text gelesen über ihn, da stand auch noch so etwas wie, er hielt die Sichtbarmachung des Raum-Zeit-Kontinuums für eine der Aufgaben der Kunst.

Das war uns damals nicht so geläufig, das war mir nicht bekannt.

Es gab damals Künstler, die sich irgendwie mit der Raumzeit beschäftigten, wie den Bildhauer Norbert Kricke oder auch die Gruppe ZERO.

Die Gruppe ZERO hat jedenfalls eine gewisse Theorie immer verbreitet.

Aber Du wüsstest nicht, in welchem Zusammenhang das zur Raumzeit steht?

Nein, ich bin auch nicht der Gruppe ZERO sehr eng verbunden gewesen. Ich hab sie beobachtet, aber war nicht mit ihnen befreundet. Wir waren Düsseldorfer, und gleich alt, aber ich hatte meinen eigenen Weg, und die Gruppe ZERO hatte auch ihren eigenen Stil. Ich hatte eine andere, eigene Gruppe, die war das Gegenteil der Gruppe ZERO, PSR, Politisch Soziale Realität, und unsere Vorstellung von Kunst war eben, die politisch soziale Realität in Bilder zu fassen, und auch mit Kunst zu beeinflussen.

Du würdest sagen, das war das Gegenteil der Gruppe ZERO?

Ich würde das sagen, das hatten wir auch so aufgefasst. ZERO war Null, ne, und weit vom Gegenstand, von der Realität weg, Raum Zeit, und uns war die Realität wichtig auch als Fotografie, wie Du weißt. Meine Fotografie hat sich ja mit Obdachlosigkeit und Industrie und Realität eben beschäftigt, und nicht mit Raum – Zeit, und auch nicht mit Licht – Schatten und sowas.

Aha, wobei natürlich, bei Deinen Schattenbildern könnte man durchaus sagen, die beschäftigen sich mit Licht und Schatten.

Ja, sicher, schon, aber wir waren damals mit der PSR Gruppe damit beschäftigt, Realität darzustellen, zu spiegeln, und zu beeinflussen, zu verändern. Also es war so eine Art 68er Gruppe eher. Weißt Du, was mit 68ern gemeint ist? Die politische Bewegung der Studenten. Und dem war ich als Fotograf auch verbunden, und ich habe die Fotografie auch dafür genutzt, weil ich in der Malerei der Realität eben fern war, weil ich ein Materialitätsmaler war, Materialbilder machte. Abstrakt waren sie nicht, sie waren konkret im Material, aber sie waren nicht gegenständlich im Wiederspiegeln der Wirklichkeit.

Und zu der Zeit schwappte die 68er Bewegung der Studenten aus dem politischen Bereich in die Kunstszene über, könnte man sagen?

Ja, doch, das kann man sagen.

Und die Beschäftigung mit der Raumzeit war wieder ein anderes Phänomen innerhalb der Kunstszene, das mit den 68ern weniger zu tun hatte?

Ja, eben, das war mehr eine abstrakte, theoretische, aber nicht auf die gesellschaftliche Wirklichkeit bezogene Kunstrichtung.

Ich hatte mich gefragt, da sich auch Dalí mit der Raumzeit beschäftigt hatte, zuerst mit Sigmund Freud, wie auch die anderen Surrealisten, und danach “le Docteur Heisenberg” in einem Interview als Nachfolger von Dr. Freud bezeichnet. Und er beschäftigte sich dann mit Antimaterie. Da habe ich mich gefragt, ob das typisch für die Kunst der Nachkriegszeit war, sich mit Raumzeit, Antimaterie u.Ä. zu beschäftigen.

Ja, es war auf jeden Fall eine Flucht, so sah ich das, vor der Wirklichkeit, in eine abstrakte Wirklichkeit, vor der gegenständlichen Wirklichkeit, vor der Politik, und vor der gesellschaftlichen Notlage. Während uns doch gerade das Gesellschaftliche besonders interessierte.

Dalí hatte gesagt “Ich möchte ein Mittel finden, um die Antimaterie auf meine Bilder zu übertragen.” Das würdest Du dann wahrscheinlich nicht wollen?

Nein, das war nicht meine Idee. Ich würde die Wirklichkeit der Menschen auf meine Bilder übertragen wollen, und habe das ja auch gemacht.

Du hattest auch hin und wieder mit Filmen zu tun. In den 60er Jahren hast Du selbst auch Dokumentarfilme gemacht?

Ja, genau. Die Filme wurden ja auch eingesetzt, in gesellschaftlichen Veranstaltungen, als Diskussionsbasis. Und es waren ja Filme von der sozialen Not, von der Obdachlosigkeit, und von der Industrie, und den Problemen. Und so viele Filme haben wir ja garnicht gemacht. Aber ein Film, der mir immer noch wichtig ist, ist der über Odachlosigkeit am Tichauer Weg. Die Arbeit über den Tichauer Weg, die haben wir ja ausgestellt, ausstellen können in der Kunsthalle Düsseldorf. Weil, da gab es eine finnische Ausstellung, eine sozialkritische Ausstellung, und die verlangte einen lokalen Bezug. Und da musste die Kunsthalle gucken, wo sozialer Bezug von sozialen Problemen da war, unter Künstlern, da konnten sie nur nur uns finden, unsere PSR Gruppe, politisch soziale Realität. Und da haben sie uns aufgefordert, eine Ausstellung zu machen. Und da haben wir uns natürlich darangemacht, und eine Ausstellung über die Obdachlosigkeit in Düsseldorf gemacht, in der Kunsthalle Düsseldorf, und haben die Obdachlosen dazu eingeladen, wo wir eine Diskussionsrunde hatten, mit obdachlosen Menschen, die sonst nie in die Kunsthalle gehen, aber die wurde natürlich öffentlich sehr stark beachtet. Wir hatten Presse bis in die Süddeutsche Zeitung hinein.
Dieser Kunstausstellung Obdachlosigkeit verdanke ich auch meinen Job, denn die Bielefelder haben davon auch gehört, weil die Presse ja überall davon berichtete, und die sind nach Düsseldorf gekommen, haben sich die Ausstellung angesehen, und haben mich dann eingeladen nach Bielefeld, auch auszustellen, das haben wir dann auch gemacht, in der Bielefelder Kunsthalle. Und dann habe ich, weil da gerade eine Stelle frei war in der Fotografie, angeboten gekriegt, ob ich das wollte, eine Professur an der Fachhochschule. Da konnte ich nicht nein sagen. Ich war Kunsterzieher, ich konnte mich ernähren, aber ich hatte natürlich keine Professorenstelle. Und dann bekam ich auf diese Weise eine Professorenstelle in – Bielefeld. So haben wir uns ja auch kennengelernt.

Ja. Das war sicher ein für Dich sehr gut passender Beruf.

Ja, hat mir auch sehr gut gefallen, und so wurde ich Fotoprofessor, obwohl ich keine Fotografie studiert hatte, oder auch keine Lehre hatte, sondern ich hatte mir selbst die Fotografie angeeignet.

Aber ich denke, Deine Ausbildung an der Kunstakademie war schon hilfreich im Umgang mit Bildern.

Ja, wir hatten ein Prinzip, die Wandzeitung, als Ausstellungsprinzip. Die Wandzeitung kam aus China, von der Protestbewegung, gab es die chinesische Wandzeitung. Und das war unsere Idee, dann unsere Obdachlosenbilder als Wandzeitung zu präsentieren, als großformatige Papierrollen. Die Ausstellung wurde sehr intensiv auch gesehen, nicht nur in Düsseldorf, sondern auch überregional, was nicht mit jeder Ausstellung der Fall war, in Düsseldorf, insofern hatten wir einen ganz guten Ruf, wegen unserer Ausstellung.

Hältst Du Leute für verrückt, die sich mit Raumzeit oder Antimaterie befassen?

Nein, die halte ich nicht für verrückt. Nur ich selber habe nicht diesen Blick auf Raumzeit und diese abstrakten Dinge, ich sehe lieber Konkretes.

Mich würde die Beschäftigung mit Raumzeit und Antimaterie eigentlich schon interessieren, ich hätte es interessant gefunden, wenn es solche Ansätze auch heute noch in der Kunstszene gäbe, oder vielleicht gibt es die auch, und ich sehe es nicht.

Ja, Du wärest mehr in der ZERO Gruppe gewesen, als in der PSR Gruppe. Du bist ja auch nicht so sehr in der Realität, heute noch, Du bist ja mehr am Computer und in der medialen Welt, als in der Realität.

Ja, das ist richtig, stimmt.
Existieren Deine damaligen Dokumentarfilme noch, eventuell als 16-mm-Filmrollen?

Ja, sie existieren, sie sind irgendwo im Keller, glaube ich.

Hattest Du auch später wieder mit dem Medium Film zu tun?

Nein, später nicht mehr.

D.h., im Ruhrgebiet hattest Du nochmal irgendwann mit Film zu tun?

Ja, ich weiß garnicht mehr genau, ich habe 2 oder 3 Filme gemacht, also wir, als Gruppe, alleine macht man sowieso keine Filme.

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