Treibholz – 1. Einzelausstellung 2017 in der GOA Minden mit Werken von Dorothea Stöckle

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Geschichten, vom Treibholz erzählt

Text: Thomas Lochte
Fotografien: Annette Bültmann

Fundstücke, Kunststücke und Lehrstücke von Dorothea Stöckle
Wenn man so will, entstammt sie einer „Künstlerfamilie“: Dorothea Stöckle, Tochter des renommierten Bildhauers Egon Stöckle und der international bekannten Glas-Künstlerin Karin Krumbein-Stöckle (heutige Hubert), hatte ihre erste Begegnung mit handwerklich-künstlerischer Gestaltung von natürlichen Materialien in früher Jugend. „Als Kinder hatten wir im Elternhaus die Möglichkeit, auch mal was anzufassen – vielleicht hat man sich im Umgang mit dem Material unbewusst das eine oder andere abgeschaut“, erinnert sie sich an denkbare erste Prägungen.
Die mit zwei Geschwistern in den Landkreisen Landsberg a. Lech und Bad Tölz-Wolfratshausen aufgewachsene Bildhauerin ist heute selbst Mutter dreier Kinder, doch hat sie sich das kindliche Erinnern noch ein Stück weit bewahrt: Anregungen nahm sie schon bald als etwas im Sinne des Wortes „Greifbares“ wahr, ohne sich um dahinter stehende, „abstrakte“ Zuordnungen, um denkbare Images, Einschätzungen und Bewertungen von außen zu kümmern – Dorothea Stöckle ist stets mit bemerkenswerter Konsequenz ihren eigenen Weg gegangen und zu einer ebenso inspirierten wie handwerklich vielseitigen Künstlerin gereift, der das Bayerische Fernsehen inzwischen ein Portrait widmete.

Vernissage mit Dorothea Stöckle in der GOA Minden am 31.03.2017

 

In Julia Seidels Textbeitrag, hieß es über die damals nicht einmal 40-jährige: „Sie sucht das scheinbar Wertlose – an den Seeufern findet sie Treibholz, ein besonderes Material, von Natur und Witterung schon lange geformt. Ohne den Menschen haben diese Holzstücke eine eigene Ausstrahlung gewonnen (…) Aus diesen Formen gewinnt sie behutsam ihre eigenen Formen…“ Dorothea Stöckle nähert sich den von der Natur vorgezeichneten Wegen mit einem gewissen Respekt, aber auch mit einem klaren gestalterischen Willen. Manchmal lenkt sie das vermeintlich Ungerichtete, Zufällige sachte in eine von ihr gewünschte Richtung, dann wieder liefert sie dem Vorgefundenen ein gänzlich neues Stichwort, definiert einen verblüffend neuen Kontext.
„Vom Wasser heil geschliffen“ betitelte sie eine ihrer Ausstellungen – auch hier mit einer fast heiteren Verbeugung vor der Kraft der Elemente: „Sie glättet und bearbeitet die gefundenen Holzstücke nur so weit, dass sie ihre natürliche Ausdruckskraft nicht verlieren,“ beschreibt Julia Seidel Dorothea Stöckles Arbeiten, „mit zarten Lasuren verleiht sie ihnen ein neues Kleid, ein neues Gesicht. Und plötzlich sehen wir in diesen alten See-Hölzern Liebende, weiße Mondnächte oder große Sonnen…

Dorothea Stöckles Schaffen spiegelt eine vielschichtige, komplexe Persönlichkeit, deren Ausdrucksformen dennoch zu großer Kraft und Klarheit gelangen. Zu ahnen ist freilich der vorausgehende, teils widersprüchliche innere Prozess, der zu den Ergebnissen ihrer Arbeit führt, das Ringen des Zwillings mit sich selbst. Wie nur wenige andere Künstler mit ausgeprägt handwerklichem Können schafft sie es, dem außenstehenden Betrachter am Ende eine Mitteilung zu machen, mit der er etwas anfangen kann:
Dorothea Stöckles Werke verlieren sich niemals in esoterischer Selbstgefälligkeit und Abstraktion oder setzen sich der Deutungsbeliebigkeit aus, sie stellen vielmehr ohne
gefällige Simplifikation eindeutige Verbindungen her – von der Künstlerin zum Objekt, vom Objekt zum Betrachter.
Thematisiert werden zwischenmenschliche Kommunikationsebenen, die auch mal schräg verlaufen, „Brücken“, die auch mal brüchig sein können. Dorothea Stöckle berichtet in ihren Material-Bearbeitungen – sei es Holz, sei es Bronze als „Rohstoff“ – vom jeweiligen Stand der Seelen-Dinge. “Ich werde geführt vom Material, sehe, was ich vor mir habe – und bin selber immer wieder überrascht, was dabei herauskommt“, schilderte sie die Begegnung ihres gestalterischen Willens mit dem sich erst formen müssenden, andererseits bereits ein Stück weit Geformten: dem Stichwort gebenden Objekt, zu dem ein Dialog mit ungewissem Ausgang einsetzt.

Kehren wir noch einmal zu dem zurück, was Julia Seidel als „Lehrstücke“ in Dorothea Stöckles Werken bezeichnete: „Sie erzählen von Zwischenräumen und Verbindungen, vom Zufall (…) von der Luft zwischen zwei Hölzern, die durch ein Stäbchen erstmals oder wieder zueinander gefügt werden. Oder von hölzernen Bergen der Liebe, auf dem ein Pärchen eng umschlungen steht, oder von einem Boot, das eine Bronzeskulptur mit verschränkten Armen trägt.“
Einsam oder zweisam – Dorothea Stöckle, so Julia Seidel, erinnere uns immer wieder daran, dass es im Leben oft um Gegensätze geht. Diese scheinbaren Unvereinbarkeiten des Lebens, die „ewige Baustelle“ der Beziehungen und Familienstrukturen – sie waren und sind Dorothea Stöckles Thema und Herausforderung.
So zeigt sie uns, auf der Basis eigener Lebenserfahrungen, in der Sprache ihrer Arbeiten Wege und Chancen auf, dass und wie Zerrissenheit und Brüche überwunden werden können. Und wenn solche „Heilungen“ durch die Zeit erfolgen, weil sie eben auch eine bestimmte Zeit benötigen, dann findet Dorothea Stöckle auch dafür eine metaphorische Form.
Zur erlangten Weisheit gehört es für die inzwischen in Niedersachsen lebende Künstlerin aber mittlerweile auch dazu, Abstand zu gewinnen, das Feld der künstlerischen Aufarbeitungsformen hinter sich zu lassen und nach vorne zu blicken: „Ich fühle mich jetzt endlich frei“, sagt sie und strahlt dabei gleichermaßen Aufbruchstimmung und Gelassenheit aus.

Der handwerkliche Werdegang der gebürtigen Ascholdingerin in den Bereichen Bildhauerei, Malerei, Bronzeguss hat sie entlang ihres Weges mit bekannten Lehrmeistern konfrontiert, die – Vaterfiguren oder nicht – zwangsläufig Einfluss ausübten und lange Schatten warfen.
Jetzt aber haben die Orientierungshelfer endgültig ausgedient, die künstlerische Emanzipation der Dorothea Stöckle erscheint abgeschlossen, ein kostbarer Augenblick der Balance gefunden.
Nach zahllosen Ausstellungen vor allem im süddeutschen Raum schickt sich die dreifache Mutter an, Neuland zu erobern. Um eine ihrer Bronze-Arbeiten zu zitieren: Man darf gespannt sein, wohin der Ball diesmal rollen wird, ehe er ins Gleichgewicht gelangt.

 

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