Rezension des Buchs “Wurde Amerika in der Antike entdeckt? Karthager, Kelten und das Rätsel der Chachapoya” von Hans Giffhorn

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Text: Annette Bültmann

Bei dem Buch “Wurde Amerika in der Antike entdeckt? Karthager, Kelten und das Rätsel der Chachapoya” von Hans Giffhorn handelt es sich nicht um Seemannsgarn, auch wenn der Titel das vielleicht vermuten lassen könnte. Der Autor stellt eine Hypothese auf, oder man könnte auch sagen, erzählt eine mögliche Geschichte von antiken Seefahrern, die von Südeuropa aus aufbrachen und Südamerika erreichten, um sich dann in den peruanischen Anden anzusiedeln. Aber er lässt es nicht bei der Geschichte als hypothetischer Vorstellung bewenden, sondern hat Forschungsergebnisse zusammengetragen, die sowohl mit kulturellen Parallelen, als auch mit der Überprüfung der Echtheit einzelner Fundstücke, und sogar mit DNA-Analysen zu tun haben. Zur damaligen Zeit hab es vermutlich Seefahrer, die bereits mit hochseetauglichen Schiffen unterwegs waren. Sie hatten zwar keine Motoren, aber bei Flaute konnte gerudert werden.

In den ersten Kapiteln tauchen die Karthager auf, die als erfahrene Seefahrer bekannt waren, aber im Verlauf der weiteren Überlegungen erscheinen als Auswanderer andere Bewohner der antiken Welt wahrscheinlicher, die Bewohner der Balearen, und die Galicier und Keltiberer Nordwestspaniens. Zunächst beschäftigt sich der Autor teilweise auch tatsächlich mehr oder weniger mit Seemannsgarn, nämlich mit überlieferten Berichten von Seefahrern, die durch Unwetter vom Kurs abkamen, und an ihnen unbekannten Küsten landeten, wie den “glücklichen Inseln”, möglicherweise Madeira, oder eine “große Insel”, vielleicht auch bereits Beschreibungen der südamerikanischen Küste, die nicht als Kontinent erkannt, sondern für eine große Insel gehalten wurde, so die Vermutung.

Die Seefahrer, in dem nun folgenden Szenario keine versehentlich von Stürmen getriebenen, sondern aufgebrochen mit der Absicht, auszuwandern, möglicherweise auf kürzestem Wege von Galicien, z.B. dem bereits in der Antike als Hafen bekannten La Coruna, nach Südamerika unterwegs, landeten demnach vermutlich in der Gegend um Recife. Dort folgten sie dann seiner Meinung nach dem Verlauf des Amazonas bis ins Bergland von Peru, und errichten dort lange vor den Inkas eine große Festung. Diese Gründer der dortigen Chachapoya-Kultur werden als blond und blauäugig beschrieben, und auch heute noch gibt es dort blonde Bewohner, Gringuitos genannt, die vermutlich nicht von heutigen Europäern abstammen.

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Ausschnitt einer Karte von Peru, erstellt durch Nicholas Sanson d’Abbeville (1600-1667) Quelle: Wikipedia

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Einige vorkolumbische Kulturen in Südamerika Dieses Bild basiert auf dem Bild Vorkolumbische Kulturen.png aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Tzzzpfff.

Die Festung Kuelap, hoch in den Bergen, in der Nähe des heutigen Dorfes Kuelap, das in 2900 m Höhe über dem Tal des Flusses Utcubamba liegt, ist schon durch die Lage recht unzugänglich, und dort, wo sich kein Abhang befindet, mit einer bis zu 21 Meter hohen Mauer gesichert, und hat drei hohe und schmale Eingänge, die sich fortlaufend verschmälern, so dass nur jeweils eine Person gleichzeitig hineingelangen kann. In ihr befinden sich runde Steinhäuser, bei denen Hans Giffhorn eins starke Ähnlichkeit zu Rundhäusern der Kelten sieht, wie sie in Britannien und bei den Keltiberern gefunden wurden. Insbesondere erwähnt er die Castro-Kultur der nordwestlichen Iberischen Halbinsel. Diese ist bekannt für auf Hügeln und Bergkuppen gelegene, von steinernen Terrassen umgebene und mit einem Wall gesicherte Siedlungen, die als Castros bezeichnet werden.
Während die Inselkelten in Irland, Schottland, Wales und auf den Orkneys ihre Kultur in der bekannten Form weiterentwickelten, so dass es dort heute noch keltische Traditionen gibt, wurden Gallien und Spanien schon in der Römerzeit erobert, und es kam zu einer teilweisen Romanisierung. Auf den Inseln wurden die Kelten später teilweise von Angeln und Sachsen verdrängt, einige flohen in die Bretagne.
Die Auswanderer nach Peru, wie sie in Hans Giffhorns Hypothese beschrieben sind, flohen demnach bereits vor gut zweitausend Jahren aus Galicien und von den Balearen, wegen der Eroberung dieser Gebiete durch die Römer.
Hans Giffhorn vermutet, dass ausschließlich Männer auswanderten. An anderer Stelle meint er aber, es wäre kaum anzunehmen, “das balearische Krieger ihre Heimat verlassen hätten, ohne sich von einigen ihrer Magier und Heiler begleiten zu lassen.” Sollte das auch für den keltischen Teil der Reisenden gelten? Da es vermutlich auch keltische Druidinnen gab, könnte man das als in sich widersprüchlich betrachten, aber die Rolle der keltischen Frau im Allgemeinen, oder der Druidinnen im Besonderen, ist nicht Gegenstand dieses Buches, daher zurück zur Seefahrt:

Da taucht nun die Frage auf, ist es tatsächlich vorstellbar, dass die Schiffsreisenden das Amazonasgebiet von der Mündung bis ins Bergland befuhren, mit Schiffen, die eigentlich für die See gemacht waren? Und mir persönlich würde sich auch die Frage stellen, haben sie sich tatsächlich dafür entschieden, das Amazonasgebiet zu durchqueren? Das wäre ja sogar heute noch sehr schwierig für normale Europäer, also zumindest mir erscheint es nicht als günstiges Reiseziel, sondern denke da an Malaria, Gelbfieber, Amöbenruhr, Krokodile, Piranhas, Schlangen, und Spinnen die so groß sind wie kleine Hunde. Würde daher vermuten, dass, sollte es tatsächlich so eine keltische Expedition gegeben haben, sie eigentlich lieber eine andere Route genommen hätten, beinahe die des heutigen Panama-Kanals, zuerst auf dem Rio Chagres, dann eventuell auf anderen kleinen Flüssen bis an die Küste des Pazifik. Dort hätten sie sich an der Küste entlang bewegen können z.B. bis zum heutigen Ort Chiclayo, um dann von dort aus in die Anden zu gelangen.
Das wäre nun meine persönliche Version der Geschichte, und es fragt sich dabei, wie kamen sie mit den Schiffen vom Rio Chagres aus über den Berg bis zu einem Fluss, der in Richtung Pazifik fließt? Da taucht in meiner Vorstellung der Film Fitzcarraldo auf, und Szenen des “Making of”, der bei Dreharbeiten im Dschungel anscheinend regelmäßig ausrastende Klaus Kinski, der den Regisseur beschimpft. Natürlich ist so ein Klima nicht optimal für Dreharbeiten, und vielleicht hätte der Film manchmal beinahe das Schicksal der beschriebenen Person Fitzcarraldo geteilt, mit seinem Projekt grandios zu scheitern. In dem Film geht es um einen Europäer, der vorhat, ein Schiff von peruanischen Ureinwohnern über einen Bergrücken ziehen zu lassen, in dem Fall mit dem Ziel, im peruanischen Dschungel eine Oper aufzuführen, was uns nun aber zu weit von den antiken Seefahrern wegführt, zumal vielleicht auch wenig über deren Musikkultur bekannt ist. Dennoch hier ein kurzer Textabschnitt zur Beschreibung des Films Fitzcarraldo aus der Wikipedia:
“Da der Fluss zwischen den gewinnversprechenden Kautschuk-Feldern und dem Amazonas durch Stromschnellen unpassierbar ist, kommt Fitzgerald auf die Idee, über den benachbarten Fluss eine Stelle anzusteuern, an der nur ein kleiner, bewaldeter Bergrücken die Flüsse trennt. Hier will er das Schiff über den Berg ziehen, um es auf dem anderen Fluss oberhalb der Stromschnellen als Transportschiff zu benutzen. Dabei helfen ihm unerwartet als feindselig gefürchtete peruanische Ureinwohner, die in dem Schiff ein Gefährt aus göttlicher Verheißung zu erkennen glauben.
In der Nacht nach der Erfolgsfeier der geglückten Bergrücken-Überquerung lösen die Indios die Ufer-Vertäuung des Schiffs, unbemerkt von der an Bord schlafenden Restmannschaft, um es der von den Indios angenommenen Bestimmung zuzuführen, nämlich ihnen die Fahrt in ihre göttlich verhießene Zukunft zu ermöglichen, und sie dabei vor bösen Natur-Dämonen zu beschützen. Das manövrierunfähige Schiff treibt durch die Stromschnellen und wird dabei leicht beschädigt, wozu vom Grammofon das Sextett aus der Oper Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti („Wer vermag, den Zorn zu hemmen“) erklingt.”

Fizzcarraldo

Der Flussdampfer aus dem Film führt heute in der Region Madre de Dios ein Schattendasein: Dieses Bild basiert auf dem Bild Fizzcarraldo.jpg aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Dr. Eugen Lehle.

Damit soll hingewiesen werden auf die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten, die vorstellbar sind, wenn Seefahrer mit Hochseeschiffen sich in das Landesinnere begeben. Die Ideen mit dem Panama-Kanal und Fitzcarraldos Bergrücken-Überquerung sind nicht Bestandteil des Buches, sondern der Phantasie der Rezensentin, bzw. dem Drehbuch von Werner Herzog entsprungen. Die Story des Films Fitzcarraldo ist teilweise fiktiv, teilweise an die reale Figur eines Kautschukproduzenten angelehnt, der ein Schiff tatsächlich in Teilen über einen Berg transportieren ließ, allerdings nicht in der Antike, sondern im Jahre 1894. Stellt man sich eine ähnliche Aktion nun in der Antike vor, wäre zum Klima noch zu sagen: zumindest in Europa war es in der damaligen Zeit wahrscheinlich relativ warm, man spricht vom Optimum der Römerzeit.
Inwieweit das auch für den amerikanischen Kontinent gilt, und ob es dazu geführt haben könnte, dass z.B. Flüsse relativ viel Wasser führten, dazu müssten Experten befragt werden. Zurück zum Buch:

Hans Giffhorns zunächst mal fiktive Seefahrer, die im Verlauf des Buchs immer greifbarer werden, entstammen vermutlich der als posttalayotisch bezeichneten Kultur der Balearen, und der Kultur der Galicier und Keltiberer, die in vorrömischer Zeit in Spanien lebten. Von Galicien aus wurden damals vermutlich Schiffsreisen nach Britannien und in die Bretagne unternommen (und noch heute sind kulturelle Gemeinsamkeiten zu bemerken z.B. in Galicien, wo es traditionelle Umzüge und Feierlichkeiten mit Schottenröcken und Dudelsäcken gibt. Dudelsäcke gibt es auch immer noch in der Bretagne, Anm. d. Red.).
Krieger der Balearen wären demnach zunächst, auf der Flucht vor den Römern, nach Galicien gereist. Dort, so das Szenario in diesem Buch, wurden sie aufgenommen. Aber, nachdem 137 v. Chr. der erste Versuch der Römer, Galicien zu erobern, teilweise fehlgeschlagen war, widersetzten sich die Galicier. Unter Julius Caesar wurde 60 v. Chr. Galicien zur römischen Provinz Gallaecia, aber erst unter Kaiser Augustus endgültig erobert, ohne weiteres Blutvergießen und durch Bündnisse. Im nördlichen Zentralspanien war die Stadt Numantia 133 v. Chr. von den Römern erobert worden, aber es kam weiterhin zu Aufständen, und Krieger, die sich der römischen Herrschaft nicht unterordnen wollten, hätten ein Motiv zur Auswanderung gehabt, so wie auch im benachbarten Galicien, wo vielleicht nicht alle Krieger mit den geschlossenen Bündnissen einverstanden waren.
Dann erfolgte der Aufbruch in die neue, römerfreie Heimat. Sollten sich die Szenarien dieses Buches bewahrheiten, war dies das heutige Peru, das demnach zwischen 30 v.Chr. und der Zeitenwende erreicht wurde.

Im peruanischen Bergland lernten sie Mais und Kartoffeln, die dortigen Nutzpflanzen, kennen, und legten wie in der früheren Heimat bewässerte Terassen an, um die Erträge zu verbessern. Rundbauten mit großer Ähnlichkeit zu denen der Keltiberer wurden z.B. gefunden in den Siedlungen La Jalca, Pajatén, La Congona, und natürlich der Chachapoya-Stadt Kuelap. Sie haben Steinmauern, obwohl das Chachapoya-Gebiet in präkolumbianischer Zeit reich bewaldet war. Das könnte darauf schließen lassen, dass Keltiberer dort ihre Traditionen bewahrten, auch dann wenn sie nicht ganz zur neuen Umgebung passten. Auch heute noch gibt es im Chachapoya-Gebiet immer wieder Kinder mit blonden oder rötlichen Haaren, heller Haut, und teilweise Sommersprossen, genannt “Gringuitos”, die “kleinen Fremden”. Nachfahren der Kelten? So versucht es dieses Buch mit beinahe kriminologischem Eifer zu beweisen. DNA-Proben männlicher Chachapoya wurden eingesammelt und analysiert. Das Ergebnis, das Vorhandensein der sogenannten Y-Haplogruppe R1b, spricht für eine Herkunft  aus dem Gebiet im Westen der britischen Inseln, der französischen Antlantikküste, und dem Norden und Nordwesten Spaniens, als Region der väterlichen Abstammung. Dort ist dieser Typ des Y-Chromosoms am häufigsten vertreten.

Die Spuren der Chachapoya führen bis in die Zeit der Inka. Diese bekämpften und besiegten die Chachapoya unter dem Inkakaiser Huayna Capac, und verschleppten viele von ihnen, Chachapoya-Krieger in die Leibgarde, Chachapoya-Frauen in die Sonnentempel der Inka. Atahualpa, der letzte Inka-Herrscher, soll demnach möglicherweise der Sohn einer Chachapoya-Mutter, einer Nebenfrau von Huayna Capac, gewesen sein.

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Peruanisches Gemälde aus der Kolonialzeit Atahuallpa Inca 14 Der Besiegte, Sohn von Mama Chachapoya Königin von Quito

So lässt es jedenfalls dieses Gemälde aus der Kolonialzeit vermuten, und auch der Bericht des Chronisten Felipe Guaman Poma de Ayala, der im 16./17. Jahrhundert lebte, in seinem Hauptwerk “El primer nueva corónica y buen gobierno”, das zwischen 1600 und 1615 entstand.

Das Buch trägt dazu bei, Geschichte aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Wäre es sogar vorstellbar, auch wenn die Reise längere Zeit gedauert hätte, dass auch in umgekehrter Richtung, aus dem Chachapoyas-Gebiet, wieder Kontakte nach Europa stattfanden?

 

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Hans Giffhorn, “Wurde Amerika in der Antike entdeckt? Karthager, Kelten und das Rätsel der Chachapoya”, München (C.H.Beck) 2013, ISBN 978-3-406-64520-4

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