Die im Dezember vorgestellte Jahresgabe 2015 des Vereins für aktuelle Kunst Minden von Prof. Jörg Boström ermöglicht mehrere Zeitsprünge, zum einen ins Jahr 2007, in dem das Buch “Zeitsprung. Kunst und Rebellion – Düsseldorf 1966-1972: Fotografien von Jörg Boström” erschien, und in der Kunsthalle Düsseldorf mit einer begleitenden Ausstellung vorgestellt wurde.
http://archiv.vm2000.net/43/nachtfoyer.site/nachtfoyer.html
Zum anderen ins Jahr 2001, zu einer Ausstellung im Kulturbahnhof Eller. Diese wiederum zeigte die Szene Düsseldorf im Zeitsprung von 30 Jahren.
Zeitsprung Szene 70 – Bilder aus Düsseldorf 1967 – 1971 im Kulturbahnhof Düsseldorf Eller, 10.2. – 11.3.2001. Eröffnung Sonntag, den 10.2.2001 um 11.30 Uhr. Die damalige Ausgabe 04 des vm2000.net diente der Vorbereitung von Ausstellung und Publikation.
http://archiv.vm2000.net/04/
Heute berichtet dieser Beitrag gleichzeitig über die aktuelle Jahresgabe, und dient der Vorbereitung eines Vortrags in Minden im Frühjahr 2016.
Manresa
Text von Renate Buschmann aus dem Buch Zeitsprung
Mit dem Titel MANRESA erinnerte Beuys an den Namen des südspanischen Ortes, in dem der spätere Gründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola im 16. Jahrhundert nach einer langen inneren Einkehr und Krise zu seinem Glaubensfundament gefunden hat. Trotz Beuys’ distanziertem Verhältnis zur Institution Kirche war die spirituelle Transformation des Ignatius von Loyola, der zuvor ein ausschweifendes Leben als Soldat geführt hatte, für ihn beispielhaft: „Ignatius ist sehr wichtig, wenn man in der Lage ist, in seinem militanten Disziplinmodell etwas zu erfahren, das weitergeht, als es sozusagen durch ihn selbst ausgesprochen ist. In ihm selbst liegt etwas drin, das viel weiterreicht. Das ganze Militante muß auf den Menschen selbst hin sich vollziehen. Es muß ein ‚Innenkrieg’ werden. Dann ist Ignatius von Loyola natürlich eine der wichtigsten Figuren. Es darf kein Streiten für die äußere Kirche sein, sondern es muß ein Streiten für die Erringung dieses Bewußtseins sein. Und das läßt sich nicht erreichen ohne diese Disziplin und ohne diese Militanz.“1 Beuys versteht den geistigen
Erneuerungsprozess bei Ignatius von Loyola zum einen als Parallele zu seiner eigenen
Biografie und zum anderen als ein anthropologisches Leitbild für eine Veränderung des Menschen, der „durch die Ausbildung seiner sinnlichen und geistigen Wahrnehmung, durch seine Intuition zu sich selbst zurückfinden“ muss.2
Die Aktion MANRESA von Joseph Beuys am 15. Dezember 1966 war der Ausklang der Veranstaltungswoche Hommage an Schmela (siehe Kapitel 02 Heinz Mack). Unter dem Einfluss der Fluxus-Bewegung hatte Beuys mit Aktionskunst begonnen: so zum Beispiel mit der Sibirischen Symphonie 1963 beim FESTUM FLUXORUM FLUXUS in Düsseldorf, mit seiner Beteiligung 1964 am Aachener Festival der neuen Kunst und mit der Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt 1965 in der Galerie Schmela.
Um der angekündigten Aktion MANRESA beizuwohnen, standen Zuschauer dicht gedrängt an der Eingangsseite des Galerieraumes und draußen vor dem Schaufenster der Galerie, unter ihnen auch die Fotografen Jörg Boström, Ute Klophaus, Reiner Ruthenbeck und Walter Vogel. In dem langgestreckten, zu diesem Anlass schwarz gestrichenen Galerieraum agierte Beuys in der hinteren Raumhälfte; der dänische Bildhauer Bjørn Nørgaard und der Fluxuskünstler Henning Christiansen, die Beuys beide als Mitakteure eingeladen hatte, in der vorderen. Seinen Bereich hatte Beuys mit den für ihn symbolträchtigen Formen und Materialien – solchen, die Energie produzieren, leiten und speichern – ausgestattet: Eine plastische Ecke aus Filz und eine weitere aus Fett ragten in den Raum hinein; unter einem Schild mit dem Aufdruck „ELEMENT 1“ lehnten ein halbiertes Filzkreuz sowie ein mit Filz umwickelter Kupferstab an der Wand. Auf dem Boden stand eine Holzkiste mit der Aufschrift „ELEMENT 2“. Sie enthielt elektrische Apparaturen und mehrere Gegenstände (u.a. ein Hasenfell, Glühbirnen, eine Lampe, einen aufziehbaren Blechspielzeugvogel).
Beuys’ Aktion begann an dem halbierten Filzkreuz, dessen Kreuzform er zeichnend vervollständigte. Indem er verschiedene Objekte aus der Holzkiste und eine geknetete Christusfigur auf einem Teller mit dem Filzkreuz in Kontakt brachte, wurde nach Korrespondenzen zwischen dem sogenannten „ELEMENT 1“ (Kreuz) und dem „ELEMENT 2“ (Holzkiste) geforscht. Zeitweilig wurde vom Band eine von Beuys gesprochene Partitur abgespielt, in der er fragend das „Element 3“ erwähnte. In der Raummitte hatte Henning Christiansen die Worte „CLIMB UP“ auf die Wand geschrieben. Beuys hantierte davor mit Luftpumpen, die mit F ett gefüllt waren. Beim Herausdrücken flog das Fett bis an die Wand.
Die Apparatur in der Holzkiste bestand aus einer Lkw-Batterie, einem Hochspannungsgenerator und weiteren elektrischen Geräten. Als Beuys sie in Betrieb nahm, begannen Funken zu sprühen. Eine Zeichnung von einem „Goldhasen“ wurde ins Licht gehoben. Beuys beschäftigte sich dann mit einer glaskolbenförmigen sogenannten Geissler-Röhre, einem physikalischen Instrumentarium, in dem Elektrizität zum Leuchten gebracht wird. Beuys hielt das leuchtende Objekt wie einen anbetungswürdigen Gegenstand in die Höhe. Die Metapher der geistigen Erleuchtung wurde an physikalische Effekte gekoppelt. Ebenso wie bei der Verbindungssuche zwischen „ELEMENT 1“ und „ELEMENT 2“ veranschaulichte Beuys auch hier die zwei historischen Prinzipien menschlicher Entwicklung: das Zusammenwirken von Geist und Materie bzw. der christlich-religiösen und der naturwissenschaftlichen Erkenntnislehre. Beuys’ stete Frage nach „ELEMENT 3“ zielte vermutlich auf die Notwendigkeit zur Etablierung einer zukünftigen Perspektive, die die derzeitige Konstitution des Menschen in Gesellschaft und Umwelt berücksichtigt.
Gleichzeitig, ohne konkreten Bezug zu Beuys’ Aktion versenkte Bjørn Nørgaard seine Füße in Gipsmasse, ließ sie erhärten und schritt dann mit dicken Gipsblöcken an den Füßen herum. Henning Christiansen lieferte einen akustischen Beitrag zur Aktion. Er spielte diverse Tonbänder mit seinen Sprach-, Klang- und Lautkompositionen ab und wiederholte mehrfach das Band mit der MANRESA-Komposition, die Beuys eigens für die Aktion entworfen hatte und von ihm selbst gesprochen wurde.
(Beuys)
NUN? ist Element 2 zu Element 1 heraufgestiegen?
NUN? Ist Element 1 zu Element 2 heruntergestiegen?
(Pause)
n ist der Schnittpunkt dreier Strahllinien
eins Plastik
zwei potentielle Arithmetik
oder auch eins und zwei integriert
(schreit) und Element 3
(Klappern)
(Pause)
Fettecke
(schreit) Fettecke
Filterfettecken
Filzecke
(Klappern)
BRAUNRÄUME
(Pause)
(Frauenstimme)
Guten Tag, wo gehen Sie hin?
(Beuys)
Thorwaldsen-Museum
(Pause)
NUN? Ist Element 2 zu Element 1 hinaufgestiegen?
NUN? Ist Element 1 zu Element 2 heruntergestiegen?
(Kurzes Klappern)
A ist der Schnittpunkt dreier Strahllinien
eins Plastik
zwei potentielle Arithmetik
oder auch eins und zwei integriert
(schreit) und Element 3
(Frauenstimme)
Guten Tag, wo gehen Sie hin?
(Beuys)
Thorwaldsen-Museum
(Pause)
Hier spricht FLUXUS/FLUXUS
(Pause)
(Frauenstimme)
Guten Tag, wo gehen Sie hin?
(Beuys)
Thorwaldsen-Museum
(Pause)
Auf zu dir fliege ich, MANRESA.3
1 Zitiert nach Uwe M. Schneede: Joseph Beuys.
Die Aktionen, Ostfildern-Ruit 1994, S. 154f. Ausführliche
Beschreibung und Interpretationsansätze
zu MANRESA dort S. 146–156.
2 Die Bedeutung Ignatius von Loyola für Beuys hat
Friedhelm Mennekes ausführlich erläutert. Siehe
Friedhelm Mennekes: Beuys in MANRESA, in: Kat.
Beuys MANRESA, Kunst-Station Sankt Peter, Köln
1991, S. 10–25, hier S. 21.
3 Partitur entnommen aus Schneede (wie Anm. 1),
S. 150f.
Aus:
Zeitsprung. Rebellisches Düsseldorf 1966–1972
Fotografien von Jörg Boström
Hrsg. von Renate Buschmann
Kerber Verlag 2007
Seit 1996 gibt der Verein für aktuelle Kunst Minden Jahresgaben an Fördermitglieder aus. Die Auflagen der Arbeiten sind limitiert, anfangs auf 40 und jetzt auf 70 Exemplare. Alle Exemplare sind handsigniert und nummeriert.
http://www.aktuelle-kunst-ev.de
Spuren von Beuys in Negativen
Fotografien von Jörg Boström
Vorschau im blurb.de bookstore