Interview des vm2000.net mit Jörg Boström
Das Projektstudium am Fachbereich Gestaltung der FH Bielefeld wurde in der Anfangszeit Deiner Lehrtätigkeit eingeführt?
Das weiß ich nicht so genau, aber das Prinzip Projektstudium war für mich ganz ganz wichtig, und die anderen Kollegen hatten dieses Projektstudium noch garnicht eingeführt. Mir ging es darum, die Inhalte, ganz bestimmte soziale und reale Themen anzufassen, und nicht ganz allgemein nur gestalterisch zu arbeiten. Das Projektstudium war für mich eine Methode, in die Realität mit dem Studium einzudringen. Die Realität als Ort des Studiums einzuführen.
War Eisenheim 1973 Dein erstes Projekt im Rahmen des Projektstudiums?
Ja, ich war da in Kontakt mit Roland Günter der an dem Projekt Eisenheim arbeitete, und ich als Fotografenlehrer ging dann da mit meinen Studenten nach Oberhausen, nach Eisenheim, und wir haben dort eine fotografische Dokumentation der Siedlung Eisenheim gemacht. Ohne Roland Günter gäbe es das Projekt Eisenheim nicht, ich hätte dann andere Projekte genommen, aber das war nun eine gute Art der Zusammenarbeit, ich hatte dadurch ein gutes, bereits durch Vorarbeit strukturiertes Problem und Projekt.
Und an dem Projekt waren Studierende, Professor Roland Günter, und Bewohner der Siedlung beteiligt?
Es war schon so, dass wir ein Team waren. Meine Arbeit als Lehrender war nicht, dass ich oben auf einem Stuhl hinter dem Tisch saß und die Studenten belehrte, sondern dass wir zusammen fotografisch an Themen arbeiteten. Und das erste reale Thema war das Projekt Eisenheim, weil da Roland Günter bereits dran intensiv beteiligt war. Er war als Historiker und als Engagierter daran beteiligt. Roland Günter war als Wissenschaftler auch auf Realität aus, wie ich als Fotograf, und insofern hatten wir auch gesellschaftskritisch und real ein Projekt mit dem Eisenheim Thema. Das war eine Siedlung, die abgerissen werden sollte, und wir haben gekämpft gegen den Abriss, und das Resultat war, dass Eisenheim unter Denkmalschutz gestellt wurde, dass Eisenheim heute immer noch als Siedlung existiert, und auch bewohnt ist. Unser gemeinsames Konzept war, dass wir unsere Lehrtätigkeit auf die Wirklichkeit richten, und in der Wirklichkeit auch gestalten wollten.
Das ist Euch in diesem Fall auf jeden Fall gelungen.
Ja, das ist es auch. Und die Bewohner haben wir selbstverständlich beteiligt, wir haben Versammlungen organisiert, und diskutiert. Ohne die Bewohner von Eisenheim wäre so ein Projekt ja garnicht sinnvoll gewesen.
Es kam dann zu einem Kontakt zwischen Eurer Arbeitsgruppe und den Bewohnern, Ihr sei dann nach Eisenheim gefahren und habt Euch da vor Ort mit den Bewohnern getroffen, nehme ich an?
Ja, selbstverständlich. Wir haben Versammlungen gemacht, Du kannst das auch auf Fotografien sehen, die ich da gemacht habe, große Versammlungen mit Eisenheimer Bewohnern, und auch den Politikern aus Oberhausen. Es war von vornherein auch ausgerichtet auf die Politik und auf die Stadtverwaltung. Da waren die Bewohner dran beteiligt, die Politiker, die Stadtverwaltung, unsere Studenten und wir. Es ist auch ein Buch daraus entstanden, und die Siedlung steht unter Denkmalschutz, mit einem Museum. Roland ist zunächst in Eisenheim auch in eine Wohnung eingezogen und hat da regelrecht gewohnt.
Insofern war Eisenheim und meine Lehrtätigkeit ein Anfang, und war zugleich die Begründung des Projektstudiums in der Realität.
Du wurdest ja mal gefragt, was hat Eisenheim mit Design zu tun.
Design, wie ich das aufgefasst habe, war eben nicht Schmücken von Alltagsgeräten und Gestaltung von Tassen und Tellern, sondern war Gestaltung innerhalb der Wirklichkeit. Design heißt für mich Gestaltung, und Gestaltung heißt für mich, Gestaltung des Lebens, der Realität. Ich habe Gestaltung immer aufgefasst als Gestaltung der Realität. Nicht nur auf dem Papier, sondern in der Wirklichkeit.
Es gab dann später das Projekt Bergkamener Bilderbasar 1978 – fotografieren in zweifacher Nacht, da warst Du in einer Zeche mit den damaligen Studenten Gábor Wallrabenstein und Fritz Bicker, das war sicher abenteuerlich?
Ja, das war abenteuerlich, und wir mochten die Abenteuer, ich war damals sehr viel jünger, wie Du weißt, und dort hatten wir mit der Kamera die Wirklichkeit erforscht. Und das war unter anderem das Projekt Bergkamener Bilderbasar.
Da wart Ihr zunächst in eine Zeche eingefahren, was wahrscheinlich relativ anstrengend war?
Ja sicher, das Fotografieren ist ja nicht nur hinter der Kamera knipsen, sondern heißt, die Wirklichkeit erforschen, und mit der Kamera dokumentieren. Ich war selber immer fasziniert vom Ruhrgebiet, ich stamme ja aus dem Ruhrgebiet, ich bin in Duisburg geboren. Das hat mich immer fasziniert, und die Arbeit mit den Studenten war für mich auch sehr wichtig als Erforschung meiner Realität, und ich habe den Studenten dadurch vieles Interessante vermitteln können.
Gábor beschreibt da in seinem Golbblog, wie Ihr in gebückter Haltung unter der riesigen Fördermaschine hindurchkriecht.
Ja, das beschreibt er richtig.
Bei 35 Grad Celsius, kaum Licht, und einer Luft die von Kohlenstaub gesättigt ist.
Ja, das habe ich selber nicht gemessen, aber er hat es wohl genauer in Erinnerung. Diese Zechentouren waren nicht ungefährlich, das weiß ich wohl.
Gábor schreibt da noch “Ich verfluchte den Tag, als Jörg Fritz und mir das Angebot gemacht hatte, als Co-Aussteller am Bergkamener Bilderbasar 1978 teilzunehmen. Ein gewisses Gefühl von aufsteigender Panik mischt sich mit einer klaren Bewusstheit von absoluter Hilflosigkeit, sollte denn tatsächlich etwas passieren. So etwas wie eine Schlagwetter- oder Kohlenstaubexplosion oder ein Bergrutsch womöglich.” Also anscheinend war es auch den Studenten nicht so ganz geheuer, unter diesen Bedingungen zu fotografieren?
Mein Studenten studierten Fotografie auch als journalistische Fotografie, und für Fotojournalisten ist es ganz selbstverständlich, sich in Gefahren zu begeben. In Afrika, Asien oder sonstwo, oder eben in Zechen unter Tage. Da blieb man nicht brav in Studienräumen sitzen, sondern ging in die Wirklichkeit, so wie ich jedenfalls die Fotografie verstand, die Fotografenlehre, als Projektstudium.
Ich bedaure, dass ich bei dem Projekt nicht dabei war, auch wenn es mir wahrscheinlich auch nicht geheuer gewesen wäre, bei 35 Grad Celsius mehrere Hundert Meter unter der Erdoberfläche, aber trotzdem hätte ich es wahrscheinlich sehr interessant gefunden.
Ja, Du warst damals noch keine Studentin?
Nee, da war ich noch nicht Studentin, da ging ich noch aufs Gymnasium.
Und es war ja bei Dir anders. Wir haben ja auch Studium getrieben in Praxis, eben mit dem Internetmagazin. Das ist ja auch so ein Praxis Studienprojekt, wo man statt unter Tage eben ins Internet geht, aber da praktisch drin arbeitet, und nicht nur experimentiert.
Allerdings ist am Computer meistens die Sache nicht so gefährlich, abgesehen davon dass er abstürzt kann ja nicht so viel passieren. Ein Computerabsturz ist ja bei Weitem nicht so dramatisch wie ein Bergrutsch.
Du hast später an einem 1989 veröffentlichten Buchprojekt mitgearbeitet “Dokument und Erfindung, Fotografien aus der Bundesrepublik Deutschland 1945 bis heute”. Das war wahrscheinlich sehr ein umfangreiches Projekt, mit vielen Mitarbeitern?
Ja, das war nicht nur mein Projekt, sondern das waren mehrere Projekte, die dort in dem Buch zusammengefasst wurden. Da war ich ja natürlich nicht überall dran beteiligt, von 45 bis heute, sondern es war für mich ein Buchprojekt, das die Grundlagen, die Vorbereitungen, die früheren Formen der Dokumentarfotografie darstellt.
Du hattest dann ja sehr viele ganz unterschiedliche Projekte, von Ruhrgebietsfotografie über Mozart, Prometheus bis zu Kunst im Knast. Wurden die alle in dieser Arbeitsweise des Projektstudiums durchgeführt?
Soweit das möglich war. Man konnte ja Mozart nicht unbedingt real dokumentieren, sondern das war mehr eine theoretische Arbeit, und war auch eine Arbeit mit Mozart, wo wir Versuche machten, die Musik und die Optik zusammenzubringen, also die Musik zu visualisieren, wie Du wahrscheinlich weißt. Wir haben Mozarts Musik dann verwandelt in Fotografie. Und Kunst im Knast war zunächst mal nicht ein Fotografieren im Knast, obwohl wir das auch gemacht hatten in Minden, aber wir haben dort eine Ausstellung organisiert, in Minden, im Knast. Der Knast war ja damals nicht mehr in Betrieb, und wir konnten mit Hilfe des Bürgermeisters dann eine Ausstellung in dem Knast in Minden machen. Kunst im Knast hieß in diesem Falle, die Kunst in den Knast zu schaffen, und, statt in Museen auszustellen, im Gefängnis auszustellen.