WESTFRONT – Fotoessay zwischen Dokumentation und Inszenierung

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Mit dem Jubiläumsjahr 1914/2014 rückte ein Ereignis ins Bewusstsein, dass die weitere Entwicklung vor allem Europas aber auch vieler weiterer beteiligter Staaten im 20.Jahrhundert beeinflusst hat und bis zum heutigenTag beeinflusst. Die Entwicklungen von Forschung und Technik in der Rüstungsindustrie führten zu einem bis zu diesem Zeitpunkt in der Weltgeschichte nicht gekannten Ausmaß an Zerstörung von Menschenleben und Infrastruktur. Der ungeheure Einsatz von Artillerie, Minen und Bomben hinterließ eine Mondlandschaft, in der Dörfer, Felder, Wälder komplett zerrissen und zerstört wurden. Mehr als 60 Millionen Soldaten aus 5 Kontinenten waren beteiligt und fast 10 Millionen von ihnen starben. Die Gründe lagen in einem übersteigerten Nationalismus, einer verhängnisvollen Bündnispolitik und einer unfähigen Politiker- und Herrschergeneration der beteiligten Länder, die sich von den Militärs in diesen Konflikt hineintreiben ließ.

Während in unserem Land die Erinnerung an den ersten Weltkrieg weitestgehend überdeckt ist durch die Auswirkungen der Nazidiktatur und des 2.Weltkrieges,  ist sie in unserem Nachbarland Frankreich allgegenwärtig. Zum einen ist es die sicherlich die über lange Zeit subjektive Wahrnehmung als Siegernation, die sich in einem heldenhaften Verteidigungskampf gegen den Agressor behauptete hätte.  Es ist aber auch die Erinnerung an das vielfältige Leid, die der Krieg durch die ungezählten Verwundeten und Toten in nahezu jede Familie hineingetragen hat. Und es ist die immer noch allgegenwärtige Spur der Kämpfe und der Zerstörungen entlang der Marne, deren Auswirkungen bis heute zu sehen sind. Seit 100 Jahren gibt es in Frankreich No-Go-Areas, die roten Zonen. Millionen Granaten, Munitionsreste und Blindgänger liegen dort noch immer in der Erde, viele Gebiete sind chemisch verseucht. Giftgasgranaten, Knochen, Munition, Minen:  All das steckt in einem 10.000 Hektar großen Gebiet im Nordosten.  Es dürfen dort keine Menschen wohnen, Landwirtschaft ist verboten. Auch die Topographie der Landschaft änderte sich. Schützengräben, Laufgräben, Verschanzungen, Explosionskrater haben eine zernarbte Oberfläche hinterlassen. Oft ist sie von Dickicht und jungem Wald überwuchert, an manchen Orten auch freigelegt und lässt einen die Gewalt der Kräfte, die hier entfesselt wurden, erahnen. Überdauert haben auch die Bunker, wuchtig und bedrohlich scheint ihr Stahlbeton fast unverändert die Zeiten zu überstehen. Unübersehbar die Vielzahl der Sodatenfriedhöfe, Gedenkstätten entlang der Frontlinie, als Orte der Erinnerung, Trauer und Versöhnung.

In dem Fotoprojekt „Westfront“ war mein Ziel, Spuren der Zerstörung und Veränderung entlang der ehemaligen Frontlinie von den Vogesen bis zur Nordsee zu sichtbar zu machen. Es sind Orte, deren Namen zum Symbol des Vernichtungskrieges und hunderttausendfaches Sterbens wurden. Vielfach besucht von den letzten Veteranen, Interessierten, Familien, Touristen. Aber auch Orte, die nahezu vergessen sind. Wo sich Spuren der vergangenen Schrecken nur noch schwer aufspüren lassen. Über die bloße Dokumentation hinaus möchte ich den Betrachter auch fühlen lassen,  welche Ereignisse hier dauerhafte Änderungen bewirkt haben. Licht und Schatten führen, konzentrieren den Blick, verfremden Vertrautes, vermitteln eine Ahnung von der Bedrohlichkeit und Düsternis, die der Szenerie innewohnt. Der Betrachter sollte sich bewusst werden, dass jeder Quadratmeter dieser Erde zum Grab junger Männer in einem sinnlosen Krieg wurde.

Markus Redert

Mai 2016

 

Das Buch WESTFRONT ist im Eigenverlag beim Verfasser und Herausgeber Markus Redert erhältlich. Preis: 28,00 €
116 S., Hardcover, 96 Fotos in Farbe, 23x32cm, Auflage 300, mit einem Vorwort vom Autor und der Kulturwissenschaftlerin Dr. Lieselotte Sauer-Kaulbach.

Info: www.markusredert.de

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