Die digitale Bilderflut

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Text und digitale Bilder: Annette Bültmann

 

Die Bilderflut, ein Phänomen des digitalen Zeitalters

Im Internet kursiert die Schätzung, heute würden in 2 Minuten mehr Fotos geschossen, als die gesamte Menschheit im Zeitrum von 1826 bis 1900 gemacht hat.
1826 wurde das erste Foto aufgenommen von  Joseph Nicéphore Niépce auf einer mit in Lavendelöl gelöstem Naturasphalt beschichteten Zinnplatte, zu sehen ist der Blick aus seinem Arbeitszimmer auf den Hof des Gutshofes von Le Gras, die Belichtungszeit betrug 8 Stunden.
Diese Fotografie existiert noch immer, wenn auch in einem sauerstofffreien, mit Edelgas gefüllten Behälter in einem Museum in Texas. Heutige Fotografien hingegen haben manchmal nur eine Lebensdauer von 24 Stunden. wenn sie z.B. bei Snapchat oder Instagram Stories heraufgeladen werden, sind sowohl Bilder als auch Videos dort nur 24 Stunden verfügbar.
Die Schätzung, dass heute mehr Bilder in 2 Minuten gemacht werden, als im gesamten 19. Jahrhundert entstanden waren, beruht z.B. auf Twitter Schätzungen des MIT Sloan Management Review, einer wissenschaftlichen Zeitungen die vom MIT herausgegeben wird, und Schätzungen in Blogs wie 1000memories.com und BuzzFeed. Das MIT SMR twitterte: “3.8 trillion photos were taken in all of human history until mid-2011; 1 trillion photos were taken in 2015”.
One Trillion in 2015, übersetzt: 1 Billion im Jahr 2015, also 1000 Milliarden oder 1.000.000.000.000, eine 1 mit 12 Nullen. Während im gesamten 19. Jahrhundert nur wenige Millionen Fotos entstanden.
Diese Schätzungen beziehen sich bislang nur auf Fotografien, während das digitale Zeitalter nun mit Computergrafiken und Animationen die Bilderflut noch weiter steigern konnte.

Noch bis vor wenigen Jahrzehnten wurden im Schwarzweißlabor in Schalen mit Entwicklerbädern Handabzüge hergestellt, was durch den Zeit- und Arbeitsaufwand die Zahl der Bilder begrenzte, und eine Auswahl nötig machte.
Von der ohnehin schon begrenzten Anzahl von 36 Negativen eines Kleinbildfilms, oder den nur 6 Negativen eines Mittelformat-Rollfilms, wurden dann einige wenige ausgewählt, die vergrößert wurden. Es wurden Probestreifen belichtet, bevor ein großformatiger Abzug erstellt wurde, und es konnten Bereiche des Bildes bei der Belichtung des Papiers durch Abwedeln oder Nachbelichten aufgehellt oder abgedunkelt werden.

Heute, bei einer Bilderflut von hunderten oder tausenden von digitalen Bildern, die täglich per Mail und sozialen Netzwerken auf dem Monitor aufflimmern, könnte man sich fragen, existiert die Fotografie in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr?


Andererseits kann man in der heutigen Zeit auch verstärkte Bemühungen um die Archivierung von Bildern und Kunstwerken feststellen. Bilder werden digitalisiert und archiviert wie z.B. beim Pixelprojekt Ruhrgebiet, oder als Papierbilder in Sammlungen von Museen.

Die Digitalfotografie verführt dazu, viele Bilder zu machen. Es wird kein Filmmaterial benötigt, und der scheinbare Vorteil ist, dass man zunächst viele Bilder aufnehmen kann, um dann später eine Auswahl und Nachbearbeitung vornehmen zu können. D.h. man könnte eine Auswahl treffen, aber vielleicht müssen in der Zwischenzeit schon die nächsten Bilder aufgenommen werden, denn die Steigerung der Bilderflut entwickelt eine Eigendynamik, und für eine Auswahl bleibt vielleicht nicht immer Zeit. So landen Unmengen Bilder auf Festplatten, auf Servern, durch Unterseekabel und Satelliten auf andere Kontinente… nach welchen Kriterien wurden sie ausgewählt? Verlieren die Bilder ihren Wert in der Menge, oder ist es interessant, mit vielen Bildern experimentieren zu können?

Von der Fotografie nun zur Computergrafik, die mit ihr Verwandtschaft aufweist, virtuelle Kameras und Scheinwerfer.
Ein übliches Verfahren beim Rendern von Bildern nennt sich Raytracing. In einer virtuellen Szenerie sind Objekte als dreidimensionale Modelle vorhanden, deren Sichtbarkeit von einem bestimmten Punkt im Raum aus berechnet wird. Dabei können auch Reflexionen, Lichtbrechung und Texturen der Objekte mit berücksichtigt werden.
“Auf den Schirm!” Mit diesem Kommando wird beim Raumschiff Enterprise die Videokommunikation zu einem Gesprächspartner auf anderen Raumschiffen oder auf der Erde eingeleitet.
Au dem Raumschiff Enterprise werden nicht nur einzelne Bilder vom Computer erzeugt, sondern ganze holografische Umgebungen erzeugt, in denen sich die Besatzungsmitglieder in ihrer Freizeit aufhalten können. Auch technische Probleme werden manchmal mit Hilfe solcher Simulationen gelöst. Es können mechanische Vorgänge, aber auch Landschaften, Pflanzen, Tiere und menschliche Gestalten simuliert werden. Das Holodeck ist zur Zeit noch eine fiktive Möglichkeit der Freizeitgestaltung, da eine so umfassende Simulation wie in der Weltraumserie noch nicht in unserer Welt möglich ist. Aber wir arbeiten manchmal daran.
Bei technischen Störungen kommt es gelegentlich auf dem Holodeck zum teilweisen Verlust der simulierten Umgebung, und es wird das Drahtgitter an der Wand der Holodeckstruktur stellenweise sichtbar. Das Drahtgitter ist auch in heutigen Computerprogrammen die zugrundeliegende Struktur, die sichtbar ist, solange Oberflächen und Texturen noch nicht gerendert sind. Dieses Drahtgitter kann in der Weltraumserie darauf hinweisen, dass eine Störung der Illusion, bis hin zum Zusammenbruch oder der Abschaltung der Simulation kurz bevorsteht. Eine Simulation, die sich quasi verselbstständigt hat, oder andere ernsthafte Störungen aufweist, wird normalerweise abgeschaltet. So dies noch möglich ist, denn es kommt im Verlauf der Serie auch vor, dass einige Personen vorübergehend das Holodeck nicht mehr verlassen und dieses auch nicht abschalten können, so dass sie kurzzeitig zu Gefangenen in der virtuellen Realität werden. Sind auch wir Gefangene in der digitalen Bilderflut? Oder, anders ausgesdrückt, “Werde ich gesteuert von Bildern oder steuere ich sie und das Übrige?” fragt Jörg Boström in seinem Vortrag “Zwischen Mechanismus und Freiheit” anlässlich eines Krakauer Symposiums und zitiert anschließend Goethe: “Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als mutig gefaßt die Zügel festzuhalten, und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.”

 

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