Das kollektive Gedächtnis und die Wahrnehmung von Bildern.

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Interview des vm2000.net mit Jörg Boström

Mir ist aufgefallen, da wir ja über das kollektive Gedächtnis gesprochen hatten, dass Dir die Kriegszeit und das Bild Guernica einfiel, während mir bei Picasso das Malen auf der Glasscheibe einfiel. Habe mich gefragt, sind die Erinnerungen an Bilder wohl häufig geprägt von Kindheitserinnerungen? Könnte man demnach behaupten, dass sich Kindheitserlebnisse auf die spätere Wahrnehmung von Bildern und Filmen auswirken?

Davon bin ich überzeugt. Ich bin ja selber insofern ein Kriegskind, als ich 36 geboren wurde und erst 45 der Krieg zu Ende war. ich habe also als Kind den Krieg erlebt. Und insofern habe ich auch Trümmer und Bombardements erlebt, und bin auch im Graben nach Hause gekrochen, als die Angriffe kamen, die haben uns ja manchmal auch in der Schule überrascht, und ich habe solche Erinnerungen auch an Bomben, die also unser Haus auch zertrümmert haben, ich bin über den Hof gerannt, und hinter mir habe ich Bombenangriffe auf unser Haus erlebt. Über den Hof gerannt sind wir mit einer nassen Decke um die Schultern, um uns vor den Flammen in Sicherheit zu bringen. Das sind alles so Erinnerungen, die unvergesslich sind. Dazu kommt die Erinnerung an die Trümmer. Ich bin ein Trümmerkind. Ich habe in Trümmern gespielt, wie viele Kinder meinr Generation. Und die Trümmer waren für uns, und die zerstörten Häuser, Spielplätze, wenn man das so sagen darf. Und ich erinnere mich, dass ich weitergehend gebaute Spielplätze lächerlich fand, im Vergleich zu den Spielplätzen, die wir hatten, nämlich Kriegstrümmer.

Bei einem späteren Besuch in Sonderschauen sind viele Fotografien entstanden als Erinnerungsbilder. Als Kind hatte ich damals keine Kamera.


Die Kriegszeit bleibt anscheinend lange im Gedächtnis, dadurch dass diese Erlebnisse so unheimlich waren?

Ja, das bleibt im Gedächtnis, das habe ich heute noch in meinem Kopf.

Das kann ich mir schon vorstellen, dass diese Zeit irgendwie prägt. Vielleicht stärker als andere Wahrnehmungen in der Kindheit.

Davon bin ich überzeugt. Die anderen waren ja harmlos, und die sind deshalb auch nicht so tief im Gedächtnis.

Hmhm. Die Wahrnehmung von Bildern ist wahrscheinlich individuell unterschiedlich, wohl auch die von Filmen. Filme bekommen ja unterschiedliche Kritiken, derselbe Film bekommt ganz unterschiedliche Kritiken.

Ja, davon bin ich überzeugt, dass das sehr verschieden ist, von Generationen, wie sie Bilder oder Filme erleben.

Stimmt, es könnte teilweise von der Generation abhängen, und teilweise könnten es individuelle Unterschiede sein. Ist Dir das schon öfters aufgefallen, dass Deine Generation doch sehr durch die Kriegsbilder geprägt ist, während andere vielleicht durch andere Erinnerungen geprägt sind?

Das fällt mir nicht so auf, aber ich denke, es war so. Weil, ich habe ja auch Kollegen meines Alters, die sicherlich ähnliche Erinnerungn haben. Manche haben ja den Krieg auf dem Land überstanden, also haben sie keine Bombenangriffe erlebt. Aber ich habe ja Bombenangriffe hautnah erlebt, in Dinslaken.

D.h. in Deiner Generation könnte man davon ausgehen, dass ähnliche Kindheitserinnerungen an Trümmererlebnisse bestehen.

Ja, davon gehe ich wohl aus. Wir sind ja gerade zu jung gewesen, zum Glück, um in die Hitlerjugend zu kommen. Schon gar zu jung, um Soldaten zu werden, also wir haben den Krieg als Kinder erlebt. 1945, als der Krieg zu Ende war, da war ich 9 Jahre alt. Ich hab den Krieg also als Kind erlebt, aber als ich so langsam Jugendlicher war, da war der Krieg vorbei, und da habe ich eher die friedliche aber schwierige Zeit der Besatzung erlebt, durch die russischen Trupen, und durch die Amerikaner. Diese habe ich in der Stadt Sonderhausen, wo wir damals lebten, beide erlebt. Zuerst kamen die Russen, die haben das erobert, und dann wurde durch die Grenzregelung dieses Gebiet auch wieder von den Amerikanern besetzt, so dass ich beide Soldatentruppen in Erinnerung habe, die beide sehr nett zu uns Kindern waren. Ich hab so Erinnerungen an die Russen, beinahe bessere, wir waren ja ganz schön angehungert, die uns als Kindern Würstchen gaben, auf der Straße. Und von den Amerikanern habe ich Kaugummi in Erinnerung.

Und später, einige Jahre später, kam dann die Wirtschaftswunderzeit, aber die hat sich wahrscheinlich sehr viel weniger eingeprägt?

Doch, die hat sich schon bei mir eingeprägt, weil mein Vater einen sehr guten Beruf als Ingenieur hatte, in einer Firma, und die Nachkriegszeit ist mir im Grunde nicht als Hungerzeit in Erinnerung, nicht so sehr. Er konnte uns, seine Familie, jedenfalls mit seiner Arbeit ernähren.

Die Wirtschaftswunderzeit brachte es ja auch mit sich, dass jeder Haushalt einen Nierentisch hatte, und im Fernsehen Komödien liefen.

Fernsehen hatten wir damals nicht, ich kann mich daran nicht so erinnern.

Das war vielleicht auch keine ganz typische Beschreibung der Wirtschaftswunderzeit. Hattet Ihr denn einen Nierentisch? So ein nierenförmiges Tischchen, das z.B. im Flur stehen konnte?

Nierentische brauchten wir nicht, wir hatten unsere Möbel noch alle.

Ah ja. Dann hat sich die Wirtschaftswunderzeit bei Dir nicht sehr eingeprägt, schon alleine weil es da keine besonderen Ereignisse gab?

Ich hab da keine konkrete Erinnerung. Mit Klamotten war es ein bisschen schwierig, ich hatte alte noch, und wir hatten teilweise von Soldaten Militärklamotten, die umgeschneidert wurden für Kinder und Erwachsene.

Ah ja, davon habe ich auch schonmal gehört, dass alles mögliche verwertet wurde in der Nachkriegszeit.

Ja, die Uniformen wurden umgeschneidert für Zivile, und da hatten die Kinder natürlich auch Einiges bei abgekriegt, oder die halbwegs Erwachsenen, ich war ja immerhin schon 10 Jahre, 11 Jahre, nicht mehr ganz so klein.

Dann hast Du als junger Mann teilweise Uniform getragen?

Wahrscheinlich, ich habe da keine Fotos aus der Zeit, aber mit Sicherheit waren das umgeschneiderte Uniformen, die wir hatten. Weil, der Stoff der zur Verfügung stand, kam eben von den Militärklamotten.
Dazu kam auch, dass wir als Kinder schon, weil wir Krieg erlebt hatten, auch als Hauptspiel Kriegsspiele gemacht haben. Wir haben uns durchs Gelände geschlichen und uns gegenseitig symbolisch angegriffen. Nicht regelrecht verprügelt, aber wir haben eben Krieg gespielt. Das war so. Auch mit den kleinen Kriegsspielsachen, Panzer und Soldaten und so weiter auf dem Tisch hin und her.

Klingt alles ganz schön militaristisch.

Ja. Ich meine, Kinder spielen ja auch ihre Umwelt, Erlebnisse, und da war der Krieg unser Haupterlebnis. Wir kamen von der Schule, und dann kam der Angriff, dann haben wir uns in den Straßengraben geworfen, und in Sicherheit gebracht. Und wenn die Flieger wieder weg waren, dann schnell nach Hause gerannt. Ich habe so manchen Luftangriff erlebt.

Gruslig, stelle ich mir das vor. Und in der Schule selbst, wurde da auch auf dem Schulhof Krieg gespielt, oder ging es da etwas ziviler zu?

Zum Teil haben wir Ringen gespielt, gekämpft. Wir bildeten so einen Kreis und in der Mitte waren zwei, die gegeneinander kämpften. Werde der Stärkere war, wurde immer festgestellt, der musste den anderen besiegen. Besiegen und Kämpfen war unsere Hauptbetätigung, als Kinder. Wir haben zuhause auch Gräben ausgehoben, Schützengräben, und einen Bunker uns gebastelt, mit dem Spaten, ausgehoben bis die Erde weg war und wir so ein richtiges Loch hatten, da haben wir dann Bretter drübergelegt, und uns gewissermaßen vor dem Krieg verkrochen.

Der war dann auch als Schutzbunker vor dem Krieg gedacht?

Ja. Wir haben das natürlich mehr als Spiel aufgefasst, und als Angriffe kamen, sind wir mit unseren Eltern natürlich in die großen Bunker gerannt.

Da war man dann quasi nonstop mit Kämpfen, Bunkern und Angriffen beschäftigt, und als der Krieg vorbei war, wurde man auch noch in ausgediente Uniformen gesteckt?

Hmhm. Ja, man hatte nämlich wenig Klamotten. Da wurden die Uniformen die man teilweise bei solchen Flohmärkten sozusagen kaufen konnte umgestrickt für die Kinder und auch für die Erwachsenen, weil die Industrie, mit der Textilproduktion der Modeklamotten natürlich nicht ausreichte.

Das wurde ja später dann anders.

Ja natürlich, das wurde dann anders in den 50er Jahren, Wirtschaftswunder eben.

Da wurde ja die Mode dann wieder wichtiger. Die zivile Mode.

Der Minirock zum Beispiel.

Zuerst müsste der Petticoat gekommen sein, oder?

Jaja, klar.
Hast Du noch Fragen?

Künstler wollen ja manchmal auch das Unsichtbare sichtbar machen, und arbeiten mit Assoziationen. Aber die können auch je nach Betrachter unterschiedlich sein.

Ja, ich hatte ja als erste Serie gewissermaßen abstrakte Materialbilder, die gewissermaßen wie Trümmerbilder aussahen.
Das waren auch so Art Erinnerungen an die Trümmerzeit. Da konnte man nichts Heiles malen, das Heile war zertrümmert, sondern man machte Trümmerbilder.

Hast Du als Kind auch schon Trümmerbilder gemalt?

Nee, das war mehr als Erwachsener, als Kind habe ich natürlich gegenständlich gezeichnet. Meine Zeichnungen sind aber verlorengegangen, schade.

Das ist schade, stimmt. Und auf der Kunstakademie, wie waren da Deine ersten Arbeiten?

Die ersten Arbeiten waren auch abstrakt, sozusagen. Aber ich habe dann auch sehr gerne an den Zeichenkursen teilgenommen. Portrait und Aktzeichnen, sowas gab es ja an der Akademie.

Die abstrakten Bilder können jedenfalls auch durch die Erinnerung beeinflusst sein?

Ja, für mich sind sie Erinnerungen an die Trümmer. Jetzt, wo ich davon rede, meine ich das.

Könnte man vielleicht behaupten, dass der Mensch eine Art inneres Bilderarchiv hat?

Davon bin ich überzeugt, ja.

Und das hat eventuell von Mensch zu Mensch oder von Generation zu Generation andere Kategorien und Ordnungsmuster. D.h. dass bei einer Kriegsgeneration das Bild Guernica ganz oben griffbereit verfügbar ist, und bei anderen weiter hinten.

Das kann ich mir auch so vorstellen, ja.

Inwieweit auch das heutige Wahrnehmen von Bildern durch Kindheitserinnerungen geprägt ist, das ist eine Frage, die sich mir stellt.

Ja, eigenartig ist für mich als Erinnerung, dass in den 50er Jahren abstrakt angesagt war. Das ist zum Teil ein bösartige Erinnerung an die Nazi-Zeit, wo der Gegenstand eben im Mittelpunkt stand, Nazi-Kunst war gegenständlich. Und schon deshalb malten die Künstler gerne nach dem Krieg abstrakt, als Protest gegen die gegenständliche Nazi Propaganda Kunst, kann man so sagen.

Ah ja. Das ist natürlich dann insofern verständlich.

Ich habe gerne gegenständlich gezeichnet und auch gemalt, erinnere mich aber dass eine befreundete Kollegin meiner Eltern mich mal aufgefordert hat: “Malense doch abstrakt!” Die wollte sie nicht mehr sehen, meine Gegenständlichkeit.

Da wundert man sich. Könne man daher sagen dass die abstrakte Kunst in der Nachkriegs-Bundesrepublik besonders ausgeprägt war, ausgeprägter vielleicht als in anderen Ländern?

Das muss man sagen, unbedingt. weil, die gegenständliche Kunst war durch die Nazi Kunst in Misskredit geraten. Und wurde so ein bisschen als Propaganda eingeschätzt, was bei der Nazi Kunst ja auch zum Teil der Fall war. Und so war der Gegenstand, nach dem Krieg, wie ein Theoretiker gesagt hat, “Der Gegenstand ist nicht mehr tragfähig”. Da war die abstrakte Kunst angesagt auch bei mir. Aber ich habe dann wirklich durch die Begeisterung am Zeichnen und Fotografieren den Gegenstand nie ganz losgelassen. Siehst Du ja in meinen Bildern.

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